TÜBINGEN. Es ist denkbar einfach: Sobald ein Notruf abgesetzt wird, verbindet sich die Säule automatisch mit der Notrufleitstelle, sodass sich die Rettungskräfte auf den Weg machen können. Die Alarmierung ist nicht nur für Badeunfälle oder Eiseinbrüche gedacht, sondern auch für Übergriffe, die sich am Baggersee in jüngster Zeit häuften. Die beiden Notrufsäulen befinden sich an den Hauptzugangswegen am Ost- und Westufer.
Die Initiative kam von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), deren Hauptziel es ist, Menschen vor dem Ertrinken zu bewahren. Aufgestellt, betrieben und finanziert werden die Säulen von der Björn-Steiger-Stiftung, die sich für Verbesserungen im Rettungswesen einsetzt. Kostenpunkt einer Säule: 7.000 Euro. Die Säulen sind mit Solarpaneelen bestückt und arbeiten autark.
20 Anlagen rund um den Bodensee
Sie wählen sich automatisch ins stärkste Mobilfunknetz ein. Demnächst soll ein eigener Satellit ins All, um Lücken im Mobilfunknetz zu umgehen. Aktuell stehen Notrufsäulen dieser Art an 500 Standorten an Gewässern und 100 an innerstädtischen Standorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Allein rund um den Bodensee gibt es 20 solcher Anlagen.
Weitere Standorte sind in Tübingen im Gespräch: Am Anlagensee, im Alten Botanischen Garten und entlang des Neckars. Besonders am Anlagesee, der umgestaltet wurde, gebe es immer wieder Unfälle. Nicht nur Badeunfälle: Im Winter seien Menschen schon mehrmals vom Eis geholt worden. Der Alte Botanische Garten würde sich anbieten, um das Sicherheitsempfinden zu erhöhen. Und der Neckar sei zu einem Badefluss geworden.
Es gibt also zwei Motive für diese Art von Anlagen: Sicherheit zu Wasser und zu Lande. »Die Notrufsäulen steigern das Sicherheitsgefühl und sind ein deutliches Zeichen dafür, dass Belästigungen nicht geduldet werden«, sagt Dr. Gundula Schäfer-Vogel, Ordnungsbürgermeisterin von Tübingen, beim Vor-Ort-Termin am Baggersee. Man könne somit auch ohne Handy schnell und unkompliziert Hilfe holen. Denn das Handy liege beim Besuch des Baggersees meist im Auto, weil die Badegäste Angst vor Diebstahl hätten. Oft lässt man das Handy gleich ganz zu Hause.
Beliebtes Ausflugsziel
Belästigungen gab und gibt es am Baggersee, besonders seit sich die Szene dort geändert habe, wie der ehemalige Ortsvorsteher des Teilorts, Ulrich Latus, berichtet. Er hatte dort schwimmen gelernt und war mit der ganzen Familie sonntags immer ans Ufer gekommen. Aus dem Geheimtipp von einst sei ein attraktives Ausflugsziel geworden, dessen Besucher auch von anderen Teilorten kommen. Mit den Jahren hielt die Freikörperkultur Einzug, es gab wohl immer mehr Übergriffe, Belästigungen, nächtliche Partys. Familien würden nicht mehr gerne an den Baggersee kommen, bestätigt auch Ortsvorsteher Norbert Schnitzler. »Das Paradies ist uns entglitten.«
Der Baggersee ist kein offizieller Badesee mit Badeaufsicht und Ordnungskräften. »Das kann sich die Stadt nicht leisten«, sagt Gundula Schäfer-Vogel. Die Björn-Steiger-Stiftung betreibt eine weitere Notrufsäule am Kirchentellinsfurter Baggersee, die demnächst gegen ein aktuelles Modell ausgetauscht werde.
Unkoordinierter Notruf kostet Zeit
Heiko Kächele, Leiter des Polizeireviers Tübingen, findet die Notrufsäulen eine »tolle Einrichtung«. Die Polizei sei froh, dass es die Säulen gebe. Denn ein Notruf dieser Art verkürze den Zeitverzug, den ein unkoordinierter Notruf übers Handy verursache. Man werde umgehend informiert, auch was den exakten Standort angeht. Außerdem sei erfahrungsgemäß die Hemmschwelle kleiner als beim Handy, bei dem man 112 wählen müsse.
Konrad Steibli, Leiter Einsatz des DLRG-Bezirks Tübingen, berichtete von Kindern, die immer weniger Schwimmen könnten und von geflüchteten Nichtschwimmern, die vom steilen Ufer des Baggersees überrascht würden, weil sie die flachen Strände des Meeres gewohnt seien. Christian Lang, Projektleiter bei der Björn Steiger Stiftung, weiß von sich häufenden Unfällen, die auf mangelnde Sorgfalt der Eltern zurückgingen: Mütter und Väter schauten ins Handy, und bemerkten nicht, dass ihr Kind am Ertrinken sei. (GEA)