GOMARINGEN. Für das, was Stefan Broszeit aus Holz erschafft, braucht es mehr als nur zwei geschickte Hände. Es braucht Disziplin, Ideenreichtum und Geduld - und ganz besonders auch den nötigen Schwung: »Mitschwingen, gegenschwingen, man muss mit der Säge tanzen«, erklärt der Schreinermeister seinen Schaffungsprozess. »An Tagen, an denen ich das nicht schaffe, lasse ich die Arbeit lieber liegen.« Früher, als junger Mann, hätte er sich darüber geärgert, einen gescheiterten Versuch vielleicht sogar weggeschmissen. »Durch die Gnade des Älterwerdens ist das heute aber nicht mehr so«, sagt der 60-Jährige und lächelt.
Broszeit baut Schatullen. Für seine jüngsten Werke hat er den Staatspreis »Gestaltung Kunst Handwerk« erhalten, der alle zwei Jahre im Rahmen der Landesausstellung des Bundes der Kunsthandwerker Baden-Württemberg vom Wirtschaftsministerium vergeben wird. Seit vier Jahren ist er selbst Mitglied des Bundes, musste sich damals mit drei Werkstücken bewerben. Kurz darauf hatte er beim damaligen Wettbewerb 2020 den Handwerkspreis der Handwerkskammer Karlsruhe abgeräumt. »Ich habe mit dem ersten Schuss direkt einen Treffer gelandet, und dazu noch den Oscar der Herzen bekommen, den Publikumspreis«, erzählt der Schreinermeister. Das heißt: Seine Werke haben von den Besuchern der Ausstellung die meisten Stimmen erhalten. Dass die Jury anderer Meinung war als die Besucher, gräme ihn daher nicht.
Ihm liege es ohnehin nicht so, seine Werke mit Namen zu versehen und auszustellen - »Effekte der Kunstwelt bedienen«, wie er es nennt. Sich selbst verortet Broszeit bei seiner gelernten Profession: »Ich betrachte mich als Handwerker, der künstlerische Elemente in seine Arbeit einfließen lässt.« Das Ding, das er baue, sei in erster Linie eine Hülle - etwas, in dem sich eine Funktion verberge. So auch in seinen Schatullen: Das kunstvolle Äußere verbirgt eine auf den Mikrometer genau verarbeitete Box, in der einzelne, mit einem samtigen Stoff ausgekleidete Behältnisse aufeinander gestapelt sind, die einzeln herausgenommen werden können. Darin kann der Schmuck - oder etwas anderes Wertvolles - aufbewahrt werden. Was zuerst simpel klingt, ist von Broszeit genau durchdacht: »Die Ebenen sind so gefertigt, dass sie nur langsam herausgehoben werden können.« Versucht man es mit zu viel Druck, bleiben die Elemente stecken. Entschleunigend wirke das, das Sich-Schmücken werde dadurch zu einem bedächtigen Abschluss-Ritual. »Den Schmuck legt man als letztes an, ehe man ausgeht.«
Präzision ist gefragt
Den gleichen, philosophisch anmutenden Gedanken lässt Broszeit in die Hülle einfließen: Auch diese kann nur mit Bedacht angehoben werden. Hier, in Verbindung mit dem funktionalen Aspekt, liegt die Kunst des Schreinermeisters: Feine, ineinander geschlungene und geschwungene Muster zieren seine Arbeiten, die man in dieser Detailfülle einzeln gar nicht zusammenfügen könnte. Broszeit baut seine Hüllen nicht wie ein kleinteiliges Puzzle auf, sondern durch wellenförmig doppelt gesägte und geleimte Holzkombinationen, die nahtlos ineinandergreifen. »Jeder Streifen hat so einen Zwilling, mit dem er verbunden werden kann«, erklärt der 60-Jährige anhand einer kleinen Schatulle, in der er Ausschnitte seiner einzelnen Arbeitsschritte aufbewahrt. Sitzt der Schwung an der Säge daher an einem Tag nicht, sitzen die Teile nicht.

Über zwölf Jahre feilt er schon an der Technik. Mal verbindet er verschiedene Hölzer - gerne heimische Obsthölzer wie die Zwetschge, die süß und fruchtig bei der Verarbeitung duftet -, mal kombiniert er Holz mit anderen Materialien wie Aluminium oder auch Leder. Letzteres schafft durch die Kombination mit Holz ganz neue Probleme bei der Verarbeitung - schließlich müssen die unterschiedlichen Stoffe miteinander verbunden werden. Aber dafür entsteht auch ein ganz eigener Effekt des Endprodukts: »Das Leder nutzt langsam ab und schafft so eine ganz eigene Haptik der Hülle«, sagt Broszeit. Ein anderes Stück - eines derer, für das er den Staatspreis gewonnen hat - hat der Schreinermeister konkav, also abgerundet, aus dem Holz ausgelöst. Immer wieder entwickelt Broszeit seine Technik weiter, passt sie auf die neuen Ideen an, die ihm kommen. »Manchmal geht es drei Schritte vor und zwei zurück. Aber es geht voran.« Er arbeitet in Kleinserien, wenige Stücke, die Generationen überdauern können. Erbstücke. Zwischen einigen Hundert und mehreren Tausend Euro können die kosten. »Meine Kollegen sagen, ich sei noch zu billig«, verrät der Schreinermeister, der durchaus mit einem angemessenen Stundenlohn kalkuliert. »Ich veranschlage aber reelle Preise für meine Stücke.«
Hauptberuflich Ergotherapeut
Seine Ideen setzt er in seiner Werkstatt um, die er sich im eigenen Keller eingerichtet hat. »Die ist aber zu klein, ich suche was Größeres«, sagt Broszeit. Etwas in Gomaringen wäre perfekt. Dabei arbeitet der 60-Jährige heute gar nicht mehr hauptberuflich als Schreiner, sondern als Ergotherapeut. »Ich habe mit 16 Jahren eine Ausbildung zum Schreiner gemacht, dann später umgesattelt.« Die körperliche Arbeit wurde schwer, als es ihm »in den Rücken gefahren ist«. Seinen Meister hat Broszeit dann später gemacht, mit 35 Jahren. »Zum Privatvergnügen«, wie er sagt, in Derendingen. Holz habe ihn immer interessiert, auch als Therapeut arbeitet er damit. »Es war eine tolle Zeit, aber auch wieder seltsam, in der Schule zu sein.« Gelohnt hat es sich allemal: Erstmals wird Broszeit in diesem Jahr auf dem »Fine Arts«-Kunstmarkt im Kloster Eberbach mit einem eigenen Stand vertreten sein. »Der Staatspreis ist der Türöffner«, erklärt der Ergotherapeut, der eigentlich ein Schreinermeister ist. (GEA)