TÜBINGEN. Die US-Wahl mit Hot Dogs, Funk-Musik und Gesprächsrunden: Das Deutsch-Amerikanische Institut (d.a.i.) hat - wie schon in den vergangenen Jahrzehnten - im Kino Museum die »Schicksalswahl 2024« live begleitet. »Es sind heute Nacht sicher über 1.000 Menschen hier«, sagte der stellvertretende Direktor des d.a.i., Felix Weinmann. »Bereits um 19.30 Uhr mussten wir einen Einlass-Stop verhängen.« Allein im Vorverkauf gingen über 650 Karten weg.
Ansturm. Menschen über Menschen. Sogar die Autos auf der stark befahrenen Straße Am Stadtgraben, die vor dem Museum entlangführt, mussten dem Andrang ausweichen, den die Massen verursachten. Von Schülern bis Senioren waren nahezu alle Altersgruppen vertreten. Die Gespräche waren durch und durch blau - nicht etwa trunken, sondern drehten sich gemäß der Farbe der Demokraten eindeutig um die Sympathie für die Partei, die Kamala Harris ins Rennen gegen den Republikaner Donald Trump schickte. Von Sorge oder Anspannung indes keine Spur - die Aussicht auf einen Sieg der Republikaner konnte die Stimmung an diesem Wahlabend nicht trüben. Als die Kinosessel im großen Museumssaal knapp wurden, wichen die Besucher kurzerhand auf den Boden aus.
Bildung. Der Großteil der Gäste war zu Anfang des Wahlabends klar jünger als 20 Jahre - viele Schulklassen verteilten sich im großen Kinosaal. »Die Wahlnacht wird uns als Schulleistung angerechnet«, verriet ein Schüler. »Wir beschäftigen uns auch viel in den Leistungskursen mit der Wahl.« Bis zum Ende hielten es aber nur die hartgesottensten Jugendlichen aus - der Unterricht fand für die meisten am nächsten Tag trotzdem wie gewohnt statt. Im Atrium und den Vorräumen waren zudem kleine Stationen aufgebaut, die nützliche Informationen über die USA und deren Wahlsystem bereithielten - inklusiver fachkundiger Beratung durch motivierte d.a.i.-Mitarbeiter und Studenten der Amerikanistik an der Uni Tübingen.
Begrüßung. Die Direktorin des Tübinger d.a.i., Katharina Luther, eröffnete rund eine Stunde nach Einlass den Abend - so lange dauerte es, bis alle Menschen im Saal Platz in den Sesseln oder auch auf dem Boden fanden. »Wussten Sie, dass hier vor 72 Jahren das erste Amerika-Haus in Tübingen gegründet wurde? Es ist also ein besonderer Ort - und eine besondere Wahl für uns alle«, sagte Luther in ihrer kurzen und knackigen Ansprache. »Demokratie ist das, was uns als Gesellschaft definiert«, setzte Deputy PD Chief Aisha Talib nach, die für die Wahlnacht extra aus dem US-Generalkonsulat aus Frankfurt angereist war. »Es ist von äußerster Wichtigkeit, dass wir das Ergebnis akzeptieren - egal, wie die Wahl ausgeht«, stellte die Amerikanerin klar. Schon mehr als die Hälfte der wählenden Amerikaner hätten bereits ihre Stimmen abgegeben. »Wir erwarten erstmals mehr als 160 Millionen Wähler in diesem Jahr - was ein historisches Ergebnis wäre.«

Debatte. Die drängendsten Probleme in den USA waren ebenso Teil der Podiumsdiskussion wie die Wichtigkeit der sogenannten »Swing States« für den Wahlausgang und die scheinbar unerklärliche Zustimmung für einen Populisten wie Donald Trump. »Mein Bauchgefühl wechselt eigentlich jede Stunde, wer das Rennen heute machen wird«, sagte die ehemalige Washington-Korrespondentin der ARD, Claudia Buckenmaier zum Auftakt der zweistündigen Debatte. Es sei erschütternd, was Trump in den letzten Reden von sich gegeben habe. »Das hat mich stark an das erinnert, was ich beim Sturm auf das Kapitol vor vier Jahren in Washington erlebt habe.« Kenton Barnes von der Organisation »Democrats Abroad« (Demokraten im Ausland) hoffte, dass er bald ein bisschen feiern könnte: »Nächste Woche, wenn die Ergebnisse fest stehen.« Die Aussage fasste zusammen, was alle Diskussionsteilnehmer vermuteten: dass ein eindeutiges Endergebnis nicht mehr in dieser Nacht vorliegen würde - und sich wohl aufgrund der knappen Umfragen und den unterschiedlich gestalteten Auszählungen in den 50 Bundesstaaten noch ein paar Tage ziehen werde.
Erholung. Seien es nun Filme in der englischen Originalvertonung, ein Glücksrad oder einfach nur ein erfrischendes Getränk: Wer mal ein wenig Abstand vom politischen Dauer-Input brauchte - schließlich zog sich die Wahlveranstaltung bis in den Mittwochmorgen - konnte sich bei mannigfaltigen Aktivitäten erholen. Eine kleine Sporteinlage kurz vor Mitternacht brachte die Vielsitzer und schläfrigen Gemüter wieder auf Vordermann - insbesondere mit Dehn- und Streckübungen.
Funk. Die Louisiana Funky Butts schmetterten die ersten Töne, als sich die Türen zum Atrium öffneten. Mit Posaune, Pauke, Saxophon, Schlagzeug, Tuba und Trompete begleiteten die Musiker des sechsköpfigen Brass-Orchesters die an Politik interessierten Besucher durch den Abend. Die Tübinger Band versetzte das ohnehin schon aufgeheizte Publikum mit ihren Funk- und Groove-Einlagen in Feierlaune. Der Gesang über ein blechern klingendes Megaphon unterstrich die Klänge der funkigen Blaskapelle optimal. Als bei der Programmvorstellung ein weiteres, kleines Konzert zu später Stund' angekündigt wurde, belohnte das der proppenvolle Saal mit Jubel. Hunderte Besucher feierten später mit der Band und konnten sich teilweise kaum in den gemütlichen Sesseln halten.

Liveschalte. Um einen Eindruck aus Washington zu gewinnen, wurde der Journalist Christian Fahrenbach live aus der amerikanischen Hauptstadt zugeschaltet. In einem Gespräch mit Direktorin Luther gingen die beiden den aktuellen Entwicklungen auf den Grund, wie die Demokratie-Verdrossenheit, die ein Teil der amerikanischen Bevölkerung verspüre: »Washington ist nicht wie unser Berlin, sondern unser Brüssel«, erklärte Fahrenbach. Mit diesem Beispiel verstehe man in Deutschland die Distanz vielleicht besser, die viele Amerikaner zu ihrer Hauptstadt empfinden - so wie viele Deutsche zur irgendwie abstrakten EU.
Quiz. Klammheimlich während der Podiumsdiskussion muss es geschehen sein - plötzlich hingen zahlreiche Zettel mit einem QR-Code aus, der die Smartphone-Nutzer zu einem Amerika-Quiz des d.a.i. weiterleitete. Aufmerksame Besucher, die sich bereits ein wenig an den Info-Stationen weitergebildet hatten, konnten viele Fragen mithilfe des neu gewonnen Wissens beantworten. Kurz nach Mitternacht wurden die Gewinner verlesen und ernteten viel Applaus aus dem immer noch fitten Publikum.
Versorgung. Das ebenfalls im Gebäude angesiedelte Restaurant »1821« bot - ganz amerikanisch - Hotdogs auf die Hand an, das d.a.i. und Museum versorgte die Gäste mit Getränken und Popcorn. Man merkte schnell, dass Events dieser Größenordnung in den USA anders als in Deutschland begangen werden - locker, nahbar, authentisch. Unterhaltung war ein essenzieller Bestandteil des Wahlabends - egal ob an der Bar oder bei der Podiumsdiskussion, die nicht selten durch flotte Sprüche und Gelächter aus dem Publikum untermalt wurde. (GEA)