KREIS TÜBINGEN. Klimaschützer schlagen Alarm. Die Aktivisten von Fridays for Future gehen auf die Straße. Hitze, Dürre, Starkregen und Überflutungen werden wahrscheinlicher. Die im Pariser Klima-Abkommen vereinbarte Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad droht verfehlt zu werden.
Jüngst hat der Welt-Klimarat erneut vor einschneidenden Folgen gewarnt. Nach der Auswertung von 14.000 Studien kam man zu dem Schluss, dass trotz strikter Maßnahmen die Ziele von Paris nicht erreicht werden. Die Emissionen müssten stärker eingeschränkt, Treibhausgase entschieden reduziert werden.
Städte wie Tübingen haben ein ambitioniertes Programm. Die Unistadt will schon bis 2030 klimaneutral werden. Alle Vorhaben und Anträge werden seit einiger Zeit darauf abgeklopft, welche Wirkung sie aufs Klima haben und wie viel Kohlendioxid gespart oder freigesetzt wird.
Mit drei Bürger-App-Befragungen zu den Sektoren Wärme, Strom und Mobilität wollte Tübingen ausloten, wozu die Menschen in ihrem persönlichen Umfeld bereit sind. Gleichzeitig hoffte man auf einen positiven Impuls, weil die Befragten sich mit möglichen Maßnahmen auseinandersetzen. Allerdings lag die Beteiligung bei allen drei Themen deutlich unter zehn Prozent.
Besorgte Stimmen warnen: Klimaschutz darf nicht etwas sein, das sich nur Gut- und Besserverdienende leisten können. Wenn die Kosten für Energie und Ernährung steigen, kommen diejenigen in Schwierigkeiten, die sowieso schon am wenigsten haben. Die Akzeptanz sinkt. Wenn Jobs in Gefahr geraten, werden viele nicht mitmachen wollen.
Was ist realistisch? Bis wann kann Deutschland klimaneutral werden? Wie gestaltet man Klimaschutz sozial? Wie schafft man klimagerechten Wohlstand für alle? Was ist gerecht? Wie funktioniert Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten für Benzin und Diesel, Heizöl und Gas? Und welche Auswirkungen haben die Maßnahmen auf die Wirtschaft?
Auf diese Fragen muss die Politik eine Antwort finden. Möglichst rasch. Denn die Gletscher schmelzen weiter, der Meeresspiegel steigt stetig, die Bedrohung wächst. (GEA)
Annette Widmann-Mauz (CDU)
Die Bundesregierung hat sich beim Klimaschutz ehrgeizige Ziele gesetzt. Das für 2020 angepeilte Klimaziel von 40 Prozent weniger CO2-Ausstoß im Vergleich zum Jahr 1990 haben wir erreicht und um 2,3 Prozent übertroffen. Jetzt wollen wir Deutschland bis 2045 zum klimaneutralen Industrieland machen.
Dafür setzen wir auf den Emissionshandel als marktwirtschaftliches Instrument. Entstehende Mehrbelastungen kompensieren wir mit Entlastungen in den Bereichen Wohnen und Mobilität. Energie und Mobilität müssen bezahlbar bleiben: Die Einnahmen aus dem Emissionshandel wollen wir daher durch Stromverbilligung an die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen zurückgeben.
Als Erstes schaffen wir dazu die EEG-Umlage ab. Wir werden Verbraucher auch bei Investitionen in besonders ressourcenschonende Technologien unterstützen, Sonderabschreibungen für Neuanschaffungen ermöglichen und die Steuerförderung der Gebäudesanierung zum Beispiel auf vermietete Immobilien ausdehnen. Wichtig ist auch, dass wir zu einem umfassenden europäischen Emissionshandel übergehen. Damit stellen wir sicher, dass Klimaneutralität zum Wettbewerbsvorteil wird.
Chris Kühn (Grüne)
Teurer als wirksamer Klimaschutz ist kein Klimaschutz. Egal ob wir auf die verheerenden Hochwasser im Landkreis Ahrweiler, die Brände am Stadtrand Athens, den langsam versiegenden Golfstrom oder die neuen Hitzerekorde nördlich des Polarkreises schauen – an diese schlichte Wahrheit erinnert uns der diesjährige Sommer gnadenlos.
Und leider besteht keine Aussicht auf Besserung, denn das CO2, welches jetzt in der Atmosphäre ist, wird dort verbleiben und noch lange Zeit wirken. Nichtsdestotrotz muss die gesamtgesellschaftliche Aufgabe fair gestaltet werden. Klimaschutz braucht ambitionierte Maßnahmen zusammen mit einem starken sozialen Ausgleich, etwa in Form eines Energiegeldes als Rückerstattung des CO2-Preises.
Im Gebäudebereich streiten wir Grüne für eine faire Verteilung des CO2-Preises, doch die Union hat durchgesetzt, dass die Mieterinnen und Mieter den Preis alleine tragen sollen. Das ist sozial ungerecht und klimapolitisch unsinnig, da die Mieter nicht über die Art des Heizens in ihrer Wohnung entscheiden. Da halten wir Grüne dagegen.
Martin Rosemann (SPD)
In den kommenden Jahren stellen wir die Weichen, um klimaneutral zu leben und zu wirtschaften. Gleichzeitig müssen wir wirtschaftlich stark bleiben, die Arbeitsplätze der Zukunft sichern und unsere Gesellschaft zusammenhalten. Die Klimawende muss eine soziale sein.
Für eine sozial gerechte Finanzierung muss deshalb im Gegenzug zu einem höheren CO2-Preis die EEG-Umlage in der bestehenden Form bis 2025 abgeschafft werden. Und vor allem braucht es bezahlbare und verlässliche Alternativen. Der ÖPNV muss ausgebaut werden, das 365-Euro-Ticket muss her. Die Tübinger Innenstadtstrecke der Regionalstadtbahn ist konkreter Klimaschutz.
Die erneuerbaren Energien müssen konsequent ausgebaut werden, einschließlich der Netze. Dafür braucht es vereinfachte und beschleunigte Genehmigungsverfahren. Auch Baden-Württemberg kann mehr als die zwölf Windräder der Grünen.
Der Strukturwandel verändert die Arbeitswelt. Die Zukunft der Arbeit muss sozial und klimaverträglich sein. Die Beschäftigten im Strukturwandel brauchen Sicherheit durch individuelle Unterstützung und Weiterbildung.
Julian Grünke (FPD)
Die FDP hat mit dem CO2-Deckel das härteste Klimaschutzprogramm aller Parteien. Dabei muss für den Ausstoß jeder Tonne CO2 eine Erlaubnis gekauft werden. Die Zahl der Erlaubniszertifikate nimmt jedes Jahr ab, sodass das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels aus dem Vertrag von Paris garantiert ist. Dadurch, dass diese Zertifikate in einem regulierten Markt gehandelt werden können, wird die Einsparung immer an der günstigsten Stelle unseres Wirtschaftssystems geschehen. Überall, wo es dieses System bereits gibt, hat es die gesteckten Ziele erreicht.
Klimaschutz ist zu wichtig für Ineffizienz, weshalb wir dieses System einer politischen Feinsteuerung, die die Gefahr birgt, nicht auszureichen, vorziehen. Dass die Klimaziele der EU in allen Sektoren, in denen diese Feinsteuerung dem Zertifikatehandel vorgezogen wurde, nicht erreicht wurden, bestätigt uns in dieser Haltung.
Die durch den Verkauf der Zertifikate erzielten Einnahmen wollen wir als »Klimadividende« an die Bürger zurückgeben. Dies soll aus der Abschaffung der EEG-Umlage, Senkung der Stromsteuer und einer Pro-Kopf-Ausschüttung der weiteren Einnahmen geschehen. Geringverdiener, die durchschnittlich geringeren CO2-Ausstoß verursachen, werden so stärker entlastet.
Ingo Reetzke (AfD)
Ich halte von ökosozialistisch begründeter Umverteilung rein gar nichts. Es ist richtig, mit Ressourcen nachhaltig zu wirtschaften und innovative Technologien voranzutreiben. »Klimaschutz«, wie er hierzulande stattfindet, schadet aber vielfach Wirtschaft, Privathaushalten und mitunter sogar der Umwelt.
Beispiel Energiegewinnung: Einerseits verteuert die EEG-Umlage den Strom massiv, andererseits steigt Deutschland aus der CO2-neutralen und kostengünstigen Atomkraft aus und pflastert die Landschaft mit Windkraftanlagen zu, denen quadratkilometerweise der CO2-Speicher Wald, viele Insekten und Vögel sowie Versickerungsfläche zum Opfer fallen. Konsequent geht anders.
Darüber zu diskutieren, wem welche Mehrkosten durch beispielsweise die CO2-Steuer nun auf welchem Wege zurückerstattet werden oder auch nicht, halte ich für nicht zielführend.
Vielversprechender als das Schröpfen von Otto Normalbürger wären Investitionen in die Erforschung neuer Technologien. Und da nicht ausgeschlossen werden kann, dass selbst die teuersten Maßnahmen den Klimawandel nicht aufhalten werden, ist auch ein Fokus auf die Prävention seiner Folgen nötig – Stichwort Renaturierung von Flussufern, beispielsweise.
Heike Hänsel (Linke)
Klimaschutz und soziale Sicherheit sind kein Widerspruch, wenn eine Regierung den Mut hat, für die Kosten des sozial-ökologischem Umbaus der Wirtschaft die Vermögenden und die Großkonzerne zur Kasse zu bitten, die zudem für den größten Anteil des CO2-Ausstoßes verantwortlich sind.
Allein Daimler, VW und BMW hatten letztes Jahr Gewinnrücklagen in Höhe von 180 Milliarden Euro. Deshalb wollen wir die Körperschaftsteuer wieder auf 25 Prozent erhöhen und globale Mindestsätze für Unternehmenssteuern einführen. Zudem die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine effektivere Erbschaftssteuer und eine Steuerreform, die hohe Einkommen (über 6.500 Euro brutto) mehr belastet.
Wir unterstützen einen CO2- Preis für die Energiewirtschaft und Industrie. CO2-Preise für Verkehr und Wärme lehnen wir ab, diese sind unsozial und klimapolitisch weniger wirksam. Stattdessen braucht es den schnellen Ausbau der Alternativen, zum Beispiel einen besseren und kostenlosen ÖPNV. Mit einem staatlichen Transformationsfonds über 20 Milliarden Euro im Jahr soll der ökologische Umbau insbesondere in der Automobilindustrie unterstützt werden. Wir wollen jährlich 120 Milliarden Euro in sozial-ökologische Infrastruktur investieren.