GOMARINGEN. Eine überaus diskussionsfreudige Gruppe Gomaringer nutzte am Montagnachmittag die Gelegenheit, sich über die Entwicklung ihrer Gemeinde beim GEA-Lokaltermin auszutauschen. Während sich die einen vor allem um die Zunahme des innerörtlichen Verkehrs und den Wegfall von Grünflächen sorgten, blickten die anderen voll Zuversicht in die Zukunft. Was kann einem Besseres passieren, als in einer Gemeinde zu wohnen, die bei jungen Familien gefragt ist, sagte Hans-Peter Kuttler.
Das Wachstum in für alle verträgliche Bahnen zu lenken, ist gar nicht so einfach. Die Größe des Gebäudes der Kreisbau, das derzeit am Eingang der Bahnhofstraße entsteht, ist umstritten. Immer wieder ist die Baustelle Thema des Gesprächs am GEA-Stand. Viel zu groß für ein Dorf sagen die einen, die anderen können gut damit leben.
»In zwei Jahren werden wir begeistert von der Bahnhofstraße sein«
Gerhard Weihing ist in Gomaringen aufgewachsen. Um seinen Heimatort macht er sich schon lange große Sorgen. Alles werde versiegelt, Grün verschwinde. »Wo soll das hinführen?«, fragt er. Gerade in Zeiten des Klimawandels sei es doch geboten, zurückhaltend mit Flächen umzugehen. Weihing setzt seine Vision eines ökologischen und naturnahen Gomaringens dagegen, damit der Ort auch für spätere Generationen lebenswert erhalten werde. Viel zu groß und zu städtisch werde dagegen das Gebäude der Kreisbau an der Bahnhofstraße. Darin ist er sich mit Horst Schmitt einig.
Der 66-Jährige kam nach seiner Bundeswehrzeit aus Bad Urach nach Gomaringen. »Die Hindenburgstraße ist die schönste Straße Gomaringens«, sagt Schmitt vom Mirabellenernten kommend. Sie habe ihren dörflichen Charakter behalten, während sich andere Ortsteile in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert haben. 15 Jahre lang habe er in der Hindenburgstraße 6 zur Miete gewohnt, bevor er mit seiner Familie in ein eigenes Haus an der Hechinger Straße umzog. Er habe erlebt, wie die beiden Vorgänger von Bürgermeister Steffen Heß schon versuchten, das Gebiet an der Hindenburgstraße zum Baugebiet zu machen. »Sie sind beide an der Ablehnung der Bürger gescheitert.«
Schmitt sieht auch keine Notwendigkeit darin, die Straße auszubauen. Das sei nur der erste Schritt zur Umwandlung der angrenzenden Streuobstwiesen in Bauland, glaubt er. »Das ist der Anfang vom Ende des Streuobstgebiets mit rund 100 Bäumen.« Wenn die Masse das nicht will, sollte es auch nicht gemacht werden. Er hofft, dass sich die Gomaringer dagegen wehren. Vor 40 Jahren sei Gomaringen noch ein Kuhdorf gewesen, das sich mittlerweile zu einer super Gemeinde entwickelt habe. Dazu gehöre aber auch, die Grünflächen zu erhalten, meinte er.
Das sieht auch Philipp Nikolaus aus der Kirchstraße so. »Schade, dass so viel Grünfläche durch die Bebauung verloren geht«, sagt der 67-Jährige, der seit 59 Jahren in Gomaringen lebt. Er bedauert das Fällen dreier großer Nussbäume in seiner Straße. Viele Entwicklungen im Dorf habe er miterlebt. »Ich war anfangs gegen den Schlossumbau«, gesteht er. Hinterher habe er dann aber festgestellt, dass etwas Schönes daraus geworden ist. Er kritisiert, dass es keine kleinen Läden mehr im Ort gibt. »Früher gab es hier vier Metzger und vier Bäcker.« Heute nur noch einen Bäcker und eine Metzgerei im Discounter.
»Die Grünen haben in Gomaringen schon vor 30 Jahren die Grenzen des Wachstums ins Gespräch gebracht«, erinnert Jürgen Hirning. Die zehn angedachten Wohnungen an der Hindenburgstraße und deren Ausbau findet der 64-jährige ehemalige Grünen-Gemeinderat okay. Eine Bebauung über die Straße hinaus in die Streuobstwiesen hinein lehnt er allerdings ab.
»Man muss nicht grundsätzlich jeden Garten erhalten«, sagt er. Doch über neue Baugebiete muss man reden. »Es ist aber noch nie so viel auf die Bürger gehört worden wie heute.« Mit Infoveranstaltungen zu Bauprojekten und Ortsspaziergängen mit dem Gemeinderat. Allerdings werde man die Grenze des Wachstums noch einmal diskutieren müssen, wenn die Regionalstadtbahn durch Gomaringen führt. Er rechnet in etwa 15 Jahren damit. Entlang der Bahn werden sich Leute ansiedeln wollen, vermutet er. Ob man die Einwohnerzahl auf 9 000 beschränken könnte? Gomaringen soll keine Stadt werden, sind sich die drei Männer einig. Bei der Fortschreibung des Flächennutzungsplans könne man darauf Einfluss nehmen, dass keine neuen Baugebiete mehr ausgewiesen werden, weiß Hirning.
Hans-Peter Kuttler empfiehlt, sich mal in anderen Orten umzuschauen. Zum Beispiel bei einem Ausflug nach Schönaich, Weil im Schönbuch und vor allem Waldenbuch: »Die haben das super gemacht«, findet der Immobilien-Fachmann. Überall sei die Ortsmitte verkehrsberuhigt und biete Parkplätze. Auch in Sonnenbühl-Erpfingen könne man sich Anregungen für die Gestaltung holen.
Kuttler sieht die Entwicklung der Bahnhofstraße als einmalige Chance. »Wenn wir jetzt die Augen schließen und in zwei Jahren wieder aufmachen, werden wir begeistert von der Bahnhofstraße sein«, ist er sich sicher. Seine Beobachtung: Besucher staunen über das Schloss und die Umgebung. »Nur die Gomaringer selber tun sich schwer« – und dürften gerne etwas mehr Zuversicht zeigen. Überhaupt sei es gut, dass der Ort junge Familien anziehe. Auch gegen das Gebäude der Kreisbau hat er nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Der große Block schwäche die Dominanz des Naturana-Hochhauses ab.
»Begrenzt wachsen«, rät Hartmut Rombach der Gemeinde. »Wir brauchen nicht viele neue Gewerbe- und Wohngebiete.« Benötigt würden hingegen kleinere Wohnungen und Mietwohnungen. Der Grünen-Gemeinderat spricht sich für eine breite Bürgerbeteiligung aus. Sinnvoll sei auch eine stichprobenhafte Umfrage: zufällig ausgewählte Personen, statistisch entsprechend gestreut. Wer nur die Meinung derjenigen erfrage, die sich freiwillig melden, riskiere, dass er diejenigen, die mit Beruf und Familie stark eingespannt sind, gar nicht erreiche.
Ein Thema, das seine Fraktionskollegin Petra Rupp-Wiese ebenfalls sehr bewegt. Sie kommt angeradelt, um ebenfalls lange mitzudiskutieren. Erst kürzlich habe sie in Sachsen-Anhalt erlebt, was es heißt, wenn Gemeinden nicht wachsen, sondern stagnieren. Gehen die Menschen, fehlt auch irgendwann die Infrastruktur, und dann fühlen sich auch die Zurückgebliebenen nicht mehr wohl.
»Ein bisschen Grün braucht der Ort unbedingt«
»Welche Gemeinde will nicht wachsen?«, fragt Erich Werner. Nur so lasse sich die Infrastruktur mit Läden, Kindergärten und allem anderen bewahren. Den dörflichen Charakter sieht er nicht gefährdet. Der frühere Abwassermeister im Dußlinger Klärwerk (»im Tal der silbernen Eier«) stellt klar: Bei Fragen der Ortsentwicklung geht’s nicht nur um die Interessen von einzelnen – »sondern um die Allgemeinheit«.
Wer unten im Tal wohnt und die Verlegung des Rathauses nach oben kritisiert, dem sagt er: »Früher mussten die Hinterweilemer den Buckel rauf und den Buckel na. In Zukunft müsset beide den Buckel nauf.« Bei allen Entscheidungen müsse frühzeitig auf die Folgen geachtet werden, gerade beim Thema Verkehrsführung. Er hätte es gerne gesehen, wenn man während der Baumaßnahmen die Bahnhofstraße im Einbahnverkehr getestet hätte, um praktische Erfahrungen zu sammeln – »wegen der Baumaßnahmen war sie sowieso nur eingeschränkt befahrbar«.
Ute Priester plädiert grundsätzlich für Innenentwicklung, »aber mit Augenmaß«. Die ehemalige SPD-Gemeinderätin hat den Eindruck, es werde zu viel und zu eng geplant. »Ein bisschen Grün braucht der Ort unbedingt.« Sie hätte nichts dagegen, wenn sich die Ortsmitte weiter abrunden ließe, und legt Wert darauf, dass man den Nahverkehr ausbaut. Bei der Entwicklung müssten alle Generationen berücksichtigt werden. »Bei der Lindenstraße hat man gemerkt, wie hoch der Bedarf für Senioren ist.«
Auch Ilse Quauka betont: »Ein kleines bisschen Grün muss erhalten bleiben. Wir dürfen nicht jede Lücke füllen.« Die Rentnerin hat beobachtet, dass Parken an manchen Stellen heute schon ein Problem darstellt. Als Anwohnerin »In der Stelle« bekommt sie mit, dass die Verkehrssituation mitunter schwierig ist und manches Ausweichmanöver über den Gehweg für Gefahr sorgt. Für die langen Gelenkbusse sei die enge Kurve nicht geeignet.
Unterstützt wird sie von Klaus Rilling, der ebenfalls die Gelegenheit am GEA-Stand nutzte, um auf die schwierige Situation In der Stelle hinzuweisen. »Es ist eine Tragödie«, sagt Rilling. Bus- und Schwerlastverkehr habe dort nichts verloren. Ein Vorschlag der beiden: Vom zentralen Omnibusbahnhof sollen kleinere Busse als Zubringer eingesetzt werden.
Bürgermeister Steffen Heß unterbrach seinen Urlaub, um ebenfalls am GEA-Stand vorbeizuschauen. Und hatte einige aufschlussreiche Zahlen dabei: Trotz Zunahme der Bevölkerung habe die Gemeinde seit drei Jahren kein eigenes Baugebiet mehr. Dem gegenüber stünden der wachsende Anspruch an Wohnraum. So ist die Wohnfläche pro Einwohner in den vergangenen 30 Jahren von durchschnittlich rund 36 auf 46 Quadratmeter gestiegen. (GEA)