Erschütterung als Erdbeben
Das Bochumer Ingenieurbüro Baudynamik hat dafür umfangreiche Untersuchungen angestellt. Zum einen geht es um Erschütterungen, die von der Stadtbahn verursacht werden. »Selbst kleinste Erschütterungen können wie ein Erdbeben wirken«, beschreibt Gutachter Michael Mistler die Problematik. Zum anderen stören magnetische Felder, die sich auch negativ auf die Funktionsweise der Geräte auswirken würden. Für beides gibt es technische Lösungen, die am derzeitigen technischen Stand der betroffenen Geräte orientiert sind. Wenn die Entwicklung weiter so voranschreitet wie bisher, die Geräte noch präzisere Ergebnisse liefern, wären sie noch empfindlicher gegen Störungen als die heutigen.
Von daher fühlt sich Bernd Engler bei der Empfehlung des Bochumer Büros, solche Forschungen mindestens 200 Meter entfernt von der Regionalstadtbahn zu machen, weil diese dann keinen messbaren Einfluss mehr hat, an eine der klassischen Corona-Regeln erinnert: »Abstand halten ist der beste Schutz.« Was allerdings nicht in allen Fällen möglich sein dürfte.
Gegen Erschütterungen empfehlen die Experten eine hochelastische Schienenlagerung mit verstärktem Unterbau entlang der gesamten Trasse. In zwei Teilbereichen sollte es zudem ein sogenanntes Masse-Feder-System geben, bei dem das Gleis ebenfalls elastisch gelagert wird. Entsprechende Technik bei der Stadtbahn kann auch den Einfluss der magnetischen Felder reduzieren. Fast alle Standorte sind damit wieder arbeitsfähig. Über diese Ergebnisse freut sich Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer: »Die zusätzlichen Kosten für Erschütterungsschutz an der Strecke und Verringerung der elektromagnetischen Strahlung sind mit fünf Millionen Euro überschaubar und im erwarteten Rahmen.« Die Mehrkosten seien bereits beim Zweckverband gemeldet und könnten voraussichtlich zu 95 Prozent aus Bundes- und Landesmitteln finanziert werden, tut der OB kund.
Trotzdem reicht das nach Ansicht der Experten nicht aus. Wenn der Abstand nicht stimmt, würde sich die Situation des jeweiligen Technik-Standorts verschlechtern. Die Nutzung der Geräte wäre eingeschränkt.
Es gibt sogar eine Einrichtung, die nach Darstellung der Uni auch mit diesen Kompensationsmaßnahmen nicht mehr an ihrer angestammten Stelle arbeiten könnte: das Werner-Siemens-Imaging-Center. Dort gibt es etwa ein hochauflösendes Digitalmikroskop, das allein 1,2 Millionen Euro gekostet hat, und auch noch andere sehr teure Geräte etwa mit Magnetresonanztechnologie, die sich daher auch nicht mit weiteren Magnetfeldern vertragen. Um weiterzuarbeiten, wäre ein kompletter Neubau an anderer Stelle notwendig, betonen Rektor Engler und Professor Bernd Pichler, Dekan der Medizinischen Fakultät. Die dafür entstehenden Kosten samt Rückbau des bestehenden Gebäudes sollten ihrer Ansicht nach die Stadt Tübingen und die Betreiber der Regionalstadtbahn bezahlen. Auf Nachfrage beziffert Pichler die Kosten des Neubaus auf Nachfrage auf 30 Millionen Euro.
Neue Bauflächen gefordert
Außerdem fordert Engler, dass es von der Stadt Zusagen an die Uni für neue Bauflächen gibt, die 200 Meter entfernt von der Regionalstadtbahn liegen. Die bisher vorgesehenen Entwicklungsflächen auf der Morgenstelle oder der Sarchhalde würden in unmittelbarer Einflusszone der Regionalstadtbahn liegen und seien daher keine realistische Option mehr für den Bau von Forschungsgebäuden. Um wettbewerbsfähig mit anderer Spitzenforschung zu bleiben, »müssen wir auf einem neuen Gebäude bestehen«, baut Engler Druck auf. Auch beim Ausweis neuer Bauflächen könne man aus diesen Gründen nicht 20 Jahre warten, sagt Engler, wohl wissend, dass die Schaffung neuer Baugebiete in Tübingen in der Regel Widerstand hervorruft.
Forderungen, auf die Palmer ganz gelassen reagiert. »Stadt, Uni und Land werden für diese lösbaren Fragen gute Antworten finden. Das besorgt mich nicht.« (GEA)