TÜBINGEN. Autofahrer schmunzeln, zeigen darauf und manche drehen sogar eine Extrarunde: Ein Kreisverkehr im Tübinger Norden zieht derzeit viele Blicke auf sich. Der Grund: In seinem Zentrum stehen neuerdings Möbelstücke – fast wie in einem Wohnzimmer. Seit rund drei Wochen wächst das »Kunstwerk« stetig. Aus einem öden Schotterkreisel wurde so eine kleine Attraktion in der Unistadt. Fotos der ungewöhnlichen Installation kursieren in den sozialen Medien, mit durchweg positiven Kommentaren: »Eine schöne Idee.« Doch wer steckt dahinter?
Initiator des Projekts ist Gastronom Ulf Siebert, Betreiber des benachbarten Hofguts Rosenau. Schon länger störte er sich an der »Steinwüste« an der Zufahrt zu seinem Restaurant. »Ich habe überlegt, wie ich das verschönern könnte«, erzählt der 69-Jährige dem GEA. Sein Ziel: den vorbeifahrenden Menschen einen Moment der Freude schenken. Da kamen ihm zwei ausrangierte Stühle und ein Tisch, die er zunächst mit einem »Zu verschenken«-Schild vor sein Restaurant gestellt hatte, in den Sinn. Vor drei Wochen stellte er die Möbel bei einer »Nacht-und-Nebel-Aktion« in die Mitte des Kreisverkehrs. Was dann geschah, überraschte ihn.
Fans sorgen sich um das Kunstwerk
»Am nächsten Tag standen plötzlich zwei Teller auf dem Tisch«, erzählt er. Einen Tag später kamen Bierkrüge dazu. Das »Wohnzimmer« wuchs immer weiter: eine Blumenvase, zwei Kerzen, zwei Bierflaschen, eine Birne, Messer und Gabel sowie eine Stehlampe gesellten sich dazu. »Jetzt ist das Wohnzimmer eigentlich komplett«, lacht Siebert. Er betont, dass die zusätzlichen Stücke nicht von ihm, sondern von unbekannten Mitstreitern stammen: »Es ist ein Gemeinschaftswerk, ich weiß bis heute nicht, wer beteiligt war.«

Manche Fans des Kunstwerks sorgen sich, dass es beschädigt werden könnte. Doch bisher ist alles heil geblieben und auch nichts gestohlen worden. Einmal beobachtete Siebert, wie zwei Jugendliche auf den Stühlen saßen, aber die haben sich offensichtlich anständig benommen. Am nächsten Morgen rückte er nur die Stühle wieder gerade. Für Siebert ist klar: »Die Menschen machen bei schönen Dingen gerne mit.« Hier sei kein Müll abgeladen, sondern sorgfältig und mit Sinn ergänzt worden. »Es war wirklich spannend, zu sehen, wohin sich das entwickelt.« Besonders beeindruckt war er, als er abends die angezündeten Kerzen sah: »Da hat sich jemand wirklich Mühe gegeben und die Kerzen mit Wachs befestigt. Das war für mich der schönste Moment.«
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer ist Fan
Doch ist die Kreisverkehr-Kunst überhaupt legal? »Als ich die Möbel das erste Mal hingestellt habe, hatte ich schon das Gefühl, eine Schwelle zu überschreiten, die nicht üblich ist«, gibt Siebert zu. Daher hat er die Stühle und den Tisch auch im Schutze der Dunkelheit in den Kreisverkehr gestellt. Falls das Ordnungsamt ihn darum bitten sollte, die Installation zu entfernen, wolle der Stadt- und Kreisrat dem »natürlich« nachkommen. Einen prominenten Fürsprecher hat das Kunstwerk aber bereits: Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer radelte Anfang der Woche vorbei, machte ein Selfie und teilte es in den sozialen Medien. »Er sagte zu mir, er findet das klasse«, so Siebert. Als Bürgermeister und Leiter der Ortspolizeibehörde ist das fast wie eine indirekte Genehmigung.
Allerdings läuft die Zeit des Kunstwerks ab. »Ich werde es bald abbauen müssen, weil die Feuchtigkeit dem Holz zusetzt«, erklärt Siebert. »Der Tisch biegt sich schon.« Sein Fazit: »Wenn es nur ein paar Menschen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hat, hat sich die Aktion gelohnt.« Seine leise Hoffnung bleibt, dass der Tübinger Kreisverkehr »Kinder bekommt« und weitere Kreationen bald auch andere triste Kreisverkehre in der Region zu Attraktionen machen. (GEA)