KREIS TÜBINGEN. Es nieselte auf den Kreis Tübingen herab. Dennoch fanden viele Leute am Tag des offenen Denkmals den Weg nach draußen – um doch wieder unter Dächern zu landen. Etwa im Klosterhof in Kusterdingen. Die designierte Ortsvorsteherin von Mähringen, Susanne Bailer, kam, um sich dort die Trachten anzuschauen.
Deren Wichtigste stellte Thomas Gollhardt vom Förderverein Klosterhof vor: die Tracht der Kusterdingerin Anna Maria Ebinger, um 1905 angefertigt, hat eine lange Reise hinter sich: Gegen Ende der 1920er-Jahre war sie auf dem Weg nach Amerika. Über Detroit und Washington gelangte sie nach Reading im US-Staat Pennsylvania. Mit der Tracht zusammen wurde ein Koffer aus Fiberglas ausgestellt. Dieser wurde extra für den Transport des Kleidungsstücks angefertigt.
Graffiti unter Putz
Das Denkmalcafé des Fördervereins im oberen Stockwerk war zunächst spärlich besucht. Nachmittags tröpfelten mehr Leute herein. Ganz gezielt kamen Bärbel und Peter Seibold aus Bronnweiler. »Wir haben viele schöne Anlaufstellen in der Umgebung. Hier sind wir schon oft vorbeigefahren – drinnen waren wir bisher noch nicht«, so Peter Seibold. Auch sie schauten sich den Raum an, aufgrund dessen vor allem der Klosterhof ein denkmalgeschützter Ort ist: Unter dem Putz fanden sich mittlerweile freigelegte Graffiti, die auf die Jahre um 1830 datiert wurden. Auf derselben Etage gibt es eine ähnlich alte Bettstatt und die sogenannte »Max-und-Moritz-Küche«, die oben zugemacht worden war, damit niemand außerhalb des Hauses feststellen konnte, dass darin Schnaps gebrannt wurde. Natürlich schwarz.
In Gomaringen führte Kreisarchivar Wolfgang Sannwald vom Schloss zum Stolperstein für den jüdischen Arzt Sally Adamsohn und zurück. Adamsohn wurde »um 1900 herum nach Gomaringen geholt«, so Sannwald, der sich mit der Biografie des Arztes im Lauf der letzten 30 Jahre oft beschäftigt hat. Zuletzt wohnte Adamsohn in der Ortsmitte an der Wiesaz, im Gebäude Linsenhof 24. Auf dem Gehweg davor wurde im April zur Erinnerung an ihn ein sogenannter Stolperstein eingelassen.
An der Führung um 13 Uhr nahmen 30 Interessierte teil. Überhaupt waren in Gomaringen viele Menschen auf der Straße. Einige wollten endlich einmal das »Naturana«-Werk von innen sehen. Zu dessen markantestem Bauwerk, dem höchsten Gebäude Gomaringens, sagte Eva Dölker-Heim, Nachfahrin des Firmengründers: »Ich wurde immer wieder von Gomaringern angesprochen, die einmal vom Turm aus auf den Ort hinunterschauen wollten – und das nicht, weil es ein Denkmal wäre.« Daher bot sie eben das an: Die Besucher durften mit dem Fahrstuhl in die achte Etage fahren. Von dort bot sich ein grandioser Blick über das Dorf hinweg ins Umland. Gegenüber, auf der anderen Seite der Hinterweiler Straße, zeigte das Unternehmen frühe Stücke: Das allererste Modell, das Namen gebende »Natura«, quetschte Frauenkörper nicht mehr durch Stäbchen in Form. »Der Halt war durch den Stoff gegeben«, so Retail-Managerin Theresia Knoblauch.
Nur eine Führung war für das künftige neue Dienstleistungszentrum in der ehemaligen Kindlerschen Textilfabrik vorgesehen – viel zu wenig für das enorme Interesse. Um 16 Uhr drängelten sich rund 200 Neugierige im Eingangsbereich des künftigen Rathauses. »Wir sind überwältigt«, sagte Bürgermeister Steffen Heß. Er verzichtete angesichts der Masse der Besucher auf einen Rundgang, sondern machte aus der geplanten Führung kurzerhand einen »Stehempfang« im künftigen Sitzungssaal. Dort gab er einen historischen Abriss zur Firmengeschichte und zum bisherigen Verlauf der Sanierung. Im Anschluss skizzierte Architekt Albert Hörz die Geschichte des Gebäudes – eintypischer Vertreter der Industriearchitektur vom Anfang des 20. Jahrhunderts.
Lichtdurchflutet und stützenfrei
Das Jahr 2019 in Mössingen könnte man auch als Pausa-Jahr bezeichnen. Am Sonntag standen die Tonnenhalle und die Bogenhalle im Mittelpunkt – oder besser: deren Architekt. Manfred Lehmbruck erbaute in den 1950er-Jahren die neuen Firmengebäude an der Karlstraße. Mössingens Baubürgermeister Martin Gönner wies die rund hundert Teilnehmer am Architekturspaziergang auf die vertikale Ausrichtung der Gebäude hin.
Sie sollten lichtdurchflutet sein, wie beispielhaft an der 150 Meter langen, stützenfreien Bogenhalle zu sehen ist – wenn sie nicht gerade für ein Theaterstück verdunkelt wird. Lehmbruck, so Gönner, sei stark vom Weimarer Bauhaus beeinflusst gewesen, aber er habe sich nicht strikt an das Vorbild gehalten: »Er hat die Grundzüge des Bauhauses nicht einfach übernommen. Beim Bau dieser Gebäude hat er auf die künftigen Nutzer und auf das Ortsbild reagiert«, so Gönner. »Für mich war das ein völlig neuer Aspekt«, freute sich Zuhörerin Theresia Sommerfeld. Karin Rausch aus Pfrondorf fasste den Tag so zusammen: »Es ist einfach schön, dass es den Tag des offenen Denkmals in Baden Württemberg gibt.« (GEA)