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Tübinger Uniklinik untersucht Chancen und Risiken alternativer Krebstherapien

Tübinger Uniklinik entwickelt für vier Tumorzentren Beratungsprogramm über naturheilkundliche Verfahren zur Unterstützung onkologisch erkrankter Patienten

Ein Arzt hält ein Stethoskop in der Hand
Ein Arzt hält ein Stethoskop in der Hand (Symbolbild). Foto: Patrick Seeger
Ein Arzt hält ein Stethoskop in der Hand (Symbolbild).
Foto: Patrick Seeger

TÜBINGEN. Bis zu 80 Prozent aller Krebspatienten wünschen sich Studien zufolge eine stärkere Berücksichtigung naturheilkundlich-komplementärer Ansätze. Für einige KMP-Verfahren (KMP=Komplementäre Medizin und Pflege) wie beispielsweise Yoga, Tai Ji/Qi Gong, Akupunktur und einzelne pflanzliche Arzneimittel wurden positive Wirkungen im Hinblick auf die Lebensqualität und verschiedene Beschwerden wie Übelkeit, Fatigue und Schlafstörungen bereits wissenschaftlich nachgewiesen.

Allerdings bergen KMP-Verfahren auch Risiken: So existieren beispielsweise Wechselwirkungen zwischen Chemotherapeutika und pflanzlichen Arzneimitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln, die bislang wenig Berücksichtigung finden. Das Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung des Uniklinikums und der Medizinischen Fakultät Tübingen hat mit seinen Partnereinrichtungen an den Uniklinik-Standorten in Baden-Württemberg ein Sektoren übergreifendes, interprofessionelles Programm entwickelt, das eine evidenzbasierte Beratung von Krebspatienten im Bereich Komplementäre Medizin und Pflege (KMP) an den vier Krebszentren, den sogenannten Comprehensive Cancer Centers (CCCs), in Baden-Württemberg erforschen wird.

Ziel des Programms ist es, Patienten in den ersten sechs Monaten nach ihrer Krebsdiagnose individuell zu Chancen und Risiken von KMP zu beraten ("em powern"). "Die Patienten sollen dann selbstständig entscheiden können, ob und wenn ja welche KMP sie in Anspruch nehmen wollen", beschreibt Studienleiterin Professorin Stefanie Joos den Ansatz. "Von dem Programm erhoffen wir uns eine Verbesserung der Versorgung onkologischer Patienten, indem wir ihre Gesundheitskompetenz und ihre Selbstwirksamkeit stärken."

Im Februar 2021 begannen die Beratungen, die von interprofessionellen Teams aus speziell im Projekt geschulten Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegenden gemacht werden. Parallel bekommen Hausärzte, ärztlicher Dienst sowie Pflegende an den vier CCCs Informationen und Schulungsangebote zum Programm.

Interprofessioneller Ansatz

»Jeder Patient von insgesamt 2 000 Patientinnen und Patienten soll im Zeitraum von drei Monaten mindestens drei Beratungen erhalten, die auf seine individuellen Bedürfnisse zugeschnitten sind«, erklärt Dr. Jan Valentini, Leiter des Forschungsbereichs Komplementäre und Integrative Medizin. Mit einem Patienten-Fragebogen wird die Wirksamkeit des Programms im Kontrollgruppenvergleich erhoben. Ergänzend werden im Rahmen einer Prozessevaluation Interviews mit Patienten, dem beteiligten ärztlichen Dienst sowie Pflegepersonal gemacht.

Besonders innovativ an dem Beratungsprogramm ist der interprofessionelle Ansatz. Das heißt, dass das Programm von Medizin und Pflege gemeinsam entwickelt wurde und dass die Erstberatung immer von einem Arzt oder einer Ärztin sowie einer Pflegefachperson gemeinsam durchgeführt werden. »Das ist unseres Wissens nach deutschlandweit das erste versorgungsnahe Forschungsprojekt, in dem gleichberechtigt von Anfang bis Ende interprofessionell geplant und gehandelt wird«, ergänzt Professorin Cornelia Mahler, Direktorin der Abteilung Pflegewissenschaft der Tübinger Uniklinik.

Das Projekt wird über drei Jahre mit circa 5,2 Millionen Euro vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert. Folgende Partner sind an dem Projekt aktiv beteiligt: AOK Baden-Württemberg, Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Uniklinikum Heidelberg, Comprehensive Cancer Center (CCC) Freiburg, Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, Comprehensive Cancer Center (CCC) Tübingen-Stuttgart, Comprehensive Cancer Center (CCC) Ulm, Institut für Klinische Epidemiologie und angewandte Biometrie, Universitätsklinikum Tübingen, aQua – Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH, Kompetenznetz Komplementärmedizin in der Onkologie (KOKON).

Patienten, die an einem CCC der vier Universitätskliniken behandelt werden und sich für eine Teilnahme am Programm interessieren, erhalten weitere Informationen im Internet unter www.ccc-integrativ.de oder per Mail ccc-integrativ@med.uni-tuebingen.de. (ukt)