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Tübinger Teleskop auf der Sternwarte vor hundert Jahren in Auftrag gegeben

Vor hundert Jahren gab Carl Bosch das große Tübinger Teleskop auf der Sternwarte in Auftrag. Bis heute eröffnet das mächtige Gerät Interessenten einen beeindruckenden Blick ins All.

Teleskop der Sternwarte
Teleskop der Sternwarte Foto: Wolfgang Wettlaufer
Teleskop der Sternwarte
Foto: Wolfgang Wettlaufer

TÜBINGEN. Als das Tübinger Teleskop 1924 von Carl Bosch in Auftrag gegeben wurde, war der Technologiepark noch in weiter Ferne. Die Stadt zählte 2.500 Studenten bei 20.000 Einwohner. Der Blick in die Sterne war klarer als heute, schließlich spielte Lichtverschmutzung noch keine Rolle. Ein Jahr zuvor, 1923, entdeckte Edwin Hubble, dass der Andromedanebel außerhalb unserer Milchstraße liegt, es also weitere Galaxien geben muss. In dieser Zeit also bestellte Carl Bosch den Refraktor. Nicht für Tübingen, sondern für sich selbst. Der berühmte Chemiker und Nobelpreisträger war umfassend naturwissenschaftlich interessiert. Er kaufte das Gerät bei Carl Zeiss Jena. Gekostet hat es 67.460 Goldmark. Das war ein »unglaublicher Betrag damals«, sagt der Tübinger Astronomiehistoriker Jürgen Kost. Fachastronomen der nahe gelegenen Sternwarte am Königsstuhl seien damals neidisch auf das hochmoderne Gerät von Carl Bosch gewesen, erzählt er.

Gedacht war es in erster Linie als Astrograph. Bosch wollte damit Pionierarbeit in der Farb-Astrofotografie leisten. Das ist auch gelungen, sagt Kost. In der Sternwarte von Bosch gelangen die ersten Farbaufnahmen des Orion-Nebels. Sie sind allerdings verschollen. »Das müssen richtig große Glasplatten sein«, beschreibt Kost. Der Astrohistoriker hofft auf Hinweise über den Verbleib der Aufnahmen.

Albert Einstein sollte das Teleskop sehen

Aber bis das Teleskop soweit war, zogen drei Jahre ins Land. Ein reger Briefwechsel zwischen Carl Bosch und Carl Zeiss dokumentiert die Herstellung. Geliefert wurde es letztendlich 1925, in Betrieb ging es 1927. Ein Jahr später als von Bosch erhofft. Es dauerte, bis es der Firma Schott aus Jena gelang, die notwendigen Gläser für die Kamera des Astrographen herzustellen. 1926 hatte Albert Einstein seinen Besuch bei Bosch angekündigt. Eigentlich wollte der Chemiker dem Physiker seine Sternwarte zeigen. Daraus wurde nichts. Das Gerät war noch nicht fertig.

Neckaraufwärts nach Tübingen wanderte es erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Auf Betreiben der Deutschen Forschungsgesellschaft zog es 1955 samt Lärchenkuppel und Hebebühne in die damals neu gebaute Sternwarte des Instituts für Astronomie der Uni Tübingen. 1957 ging es in Betrieb. Dort steht es heute noch und wird von der Astronomischen Vereinigung regelmäßig genutzt. Der Astrophysiker Kurt Walter hatte die Vereinigung 1972 gegründet. Kost kennt noch die Zeiten, als es rund um der Kuppel stockdunkel war. Wohngebäude, die später hinzukamen, wurden ganz bewusst mit der Stirnseite zur Sternwarte gebaut. Das Gebäude selbst war zum Schutz vor Lichteinfall von Büschen umgeben. »In den frühen 70er Jahren war alles dunkel, man konnte die Milchstraße am Himmel sehen«, erinnert sich Kost.

Das Bild hat sich deutlich geändert. Ein gastronomischer Betrieb ist um den kleinen weißen Bau eingezogen. Der Blick Richtung Technologiepark ähnelt einer Hochglanzbroschüre für moderne Architektur. Der Weg nach oben zum Kuppelsaal gleicht dagegen einer Zeitreise. Hoch wölbt sich die rotbraune Kuppel aus Lärchenholz über das beeindruckende Gerät. Die Kuppel hat einen Durchmesser von acht Metern und kann mit einem großen Drehrad von Hand geöffnet werden, will man in die Sterne oder in die Sonne schauen. Eine Hebebühne garantiert den besten Blick des Betrachters durch das Okular.

Wolfgang Wettlaufer hat mit dem Tübinger Teleskop eine Supernova entdeckt
Wolfgang Wettlaufer hat mit dem Tübinger Teleskop eine Supernova entdeckt Foto: Irmgard Walderich
Wolfgang Wettlaufer hat mit dem Tübinger Teleskop eine Supernova entdeckt
Foto: Irmgard Walderich

Sechs Meter lang ist der Refraktor bei einer Brennweite von fünf Metern. Wolfgang Wettlaufer dreht das riesige Rohr problemlos an einer Stange in Position. Auch nach hundert Jahren laufe es leichtgängig ohne zu quietschen, sagt Wettlaufer von der Astronomischen Vereinigung. Er muss es wissen. Schließlich kennt er das Teleskop seit Jahrzehnten. Am 9. Februar 1989 entdeckte er mit dem Fernrohr eine Supernova im Spiralnebel M 66, etwa 27 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt.

Für die Forscher an der Uni Tübingen spielt das alte Teleskop keine Rolle mehr. Es wurde schon als es in die Unistadt kam, nur noch als Schulungsinstrument für Studenten eingesetzt. Mit Hilfe des großen Rohrs wurde die Helligkeit von Sternen vermessen. Die großen Zeiten der Linsenteleskope neigten sich zu dieser Zeit ihrem Ende zu, berichtet Kost. Es begann die Karriere der Spiegelteleskope. Auch der Standort in Tübingen war für die Forschung nicht mehr interessant. »Das Gerät war zu alt, der Himmel zu hell.«

Sternwarte wurde für die Gastronomie umgebaut

Die Universität gab die Sternwarte 2003 zugunsten einer neuen Forschungseinrichtung auf. Die Stadt Tübingen kaufte das Gebäude und ließ es zu gastronomischen Zwecken umbauen. Das Teleskop allerdings ist weiterhin im Besitz der Uni. 2005 wurde Kuppel und Teleskop grundlegend restauriert und in den ursprünglichen Zustand versetzt, finanziert von der Klaus-Tschira-Stiftung.

Die Tübinger Sternwarte heute: oben der Blick ins Weltall, unten die Gastronomie.
Die Tübinger Sternwarte heute: oben der Blick ins Weltall, unten die Gastronomie. Foto: Irmgard Walderich
Die Tübinger Sternwarte heute: oben der Blick ins Weltall, unten die Gastronomie.
Foto: Irmgard Walderich

Das zweite Rohr des Teleskops fand sich allerdings erst 2007. Es wurde wohl schon in den 70er Jahren ausgebaut und war anschließend nicht mehr auffindbar. Erst bei einem Treffen von Astronomen auf der Alb kam Kost dem Objektiv auf die Spur. Einer der Teilnehmer gab nach einem Vortrag über das Tübinger Teleskop an zu wissen, wo sich das Objektiv befindet: in der Sternwarte im Vaihinger Pfaffenwald. Die Auskunft stimmte. »Da lag das Ding im Keller, noch mit Aufklebern der Un i Tübingen versehen«, erzählt Kost. Wie es da hingekommen ist, weiß niemand mehr. Wolfgang Busch, ein Musiklehrer und Autodidakt in Sachen Astronomie restaurierte das Objektiv 2008. Mit großem Erfolg: Die optische Qualität ist mittlerweile wieder hervorragend. (GEA)