TÜBINGEN. »Wir können den Kindern nichts vormachen, und wir wollen es auch nicht. Sie merken, was mit ihnen geschieht. Nur ein offener und ehrlicher Umgang miteinander schafft Vertrauen«, machte Astrid Kimmig vor den Teilnehmern des Fachtags für palliative Versorgung deutlich. Die ärztliche Leiterin von »Paluna«, der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) für Kinder und Jugendliche an der Uniklinik für Kinder- und Jugendmedizin, berichtete auf dem Fachtag von den besonderen Herausforderungen bei der Betreuung von sterbenskranken Kindern und Jugendlichen und ihren Familien.
»Wir wissen, dass man mit einem Verlust besser umgehen kann, wenn man vorher offen miteinander spricht«, so Kimmig. Es sei unglaublich wichtig, alle Angehörigen in die Betreuung einzubeziehen: Eltern, Großeltern und auch Freunde. »Im Fokus haben wir auch die Geschwister der schwer kranken Kinder. Wir wissen, sie brauchen den Kontakt zu ihrem Bruder oder ihrer Schwester, aber sie brauchen auch einen normalen Alltag.« Damit dies gelinge, unterstütze man die Eltern in diesem Punkt ebenfalls.
24-Stunden-Rufbereitschaft
2016 nahm das interdisziplinäre Team »Paluna« am Uniklinikum seine Arbeit auf. Ärzte für Kinder- und Jugendmedizin, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger und eine Psychologin mit Fachweiterbildung arbeiten Hand in Hand. Sie sorgen dafür, dass sterbenskranke Kinder viel Zeit daheim anstatt im Krankenhaus verbringen können.
»Um die Versorgung bestmöglich sicherzustellen, gibt es eine 24-Stunden-Rufbereitschaft und im Notfall erfolgt die Hilfe auch aufsuchend«, so Kimmig. Dafür sei eine gute Planung erforderlich, das Einzugsgebiet sei groß. Manche der Patienten erreiche man erst nach eineinhalb Stunden Fahrtzeit.
Schmerzen, Appetitlosigkeit oder auch Müdigkeit und Atemnot: Die Symptome bei Kindern und Jugendlichen in der Lebensendphase seien nicht wesentlich anders als bei Erwachsenen, so Kimmig. »Wir passen auch bei Kindern die Gabe der Medikamente individuell an. Wir arbeiten viel mit Nasenspray, weil es schnell wirkt.« Im Behandlungskonzept ist auch eine nichtmedikamentöse Schmerztherapie enthalten, bei der die Eltern mitwirken können. Sie können ihrem Kind mit Wiegen und Halten helfen oder ihm einen kalten Lappen auflegen. »Das schafft eine besondere Nähe.«
Ob die lebensbedrohliche Erkrankung und der nahe Tod das hoffnungsvolle Leben eines Kindes beendet, bei jungen Erwachsenen einen Strich durch die Lebensplanung macht oder im Alter nach einem erfüllten Leben kommt: Der Fachtag für palliative Versorgung hatte die Betreuung schwer kranker Patienten jeden Alters zum Thema. Eingeladen hatten das Tumorzentrum am Uniklinikum Tübingen, das CCC Tübingen-Stuttgart, und das Tübinger Projekt häusliche Betreuung Schwerkranker. 160 Palliativfachleute aus ganz Baden-Württemberg nahmen teil und tauschten sich aus.
Finanzielle Not
Dass eine lebensbedrohliche Erkrankung junger Erwachsener nicht nur in die Lebensplanung eingreift, sondern auch zu einer Erwerbsbeschränkung oder sogar zur Erwerbsunfähigkeit führen kann und damit zu finanzieller Not, machte Janine Hoffmann in ihrem Vortrag deutlich. »Man muss sich nicht nur mit der Krankheit auseinandersetzen, sondern auch damit, dass man weniger Geld zur Verfügung hat.«
Die Sozialpädagogin und Mitarbeiterin des Sozialdienstes am Klinikum Stuttgart berät gesetzlich und privat Versicherte. In ihren Erstberatungen spricht sie immer auch das Thema Schwerbehinderung und den entsprechenden Antrag an, auch wenn manche erst mal nichts davon wissen wollen. »Ein Schwerbehindertenausweis bringt aber durchaus Vorteile. Man hat zum Beispiel Kündigungsschutz oder steuerliche Erleichterungen.«
Aussöhnung mit Angehörigen
Und was kann die palliative Versorgung bei alten Menschen ausrichten, die mit ihrem nahen Tod hadern, weil sie um nicht gelebtes Leben und vertane Chancen trauern? »Nicht jeder ist ja lebenssatt, nur weil er alt ist«, weiß Christina Paul, Oberärztin der Palliativstation der Tropenklinik Paul-Lechler-Krankenhaus. »Wir als Therapeuten können diese Gefühle und die Frustration nicht ändern, aber wir können die Patienten geduldig anhören, denn der Schmerz muss ja raus.« Man könne besser mit seiner Vergangenheit umgehen, wenn man sich klarmache, dass man sie sowieso nicht mehr ändern kann.
Ändern könne man aber die Gegenwart. Paul schilderte die Geschichte einer älteren Patientin, die sich kurz vor ihrem Tod mit ihrer Schwester versöhnte, mit der sie seit zweieinhalb Jahren zerstritten und ohne jeden Kontakt war. Die Schwester wusste nicht einmal, dass sie Krebs hatte. Nachdem die Klinik die Schwester mit Erlaubnis der Patientin informiert hatte, eilte diese zu ihr ans Krankenbett und begleitete sie bis ins Hospiz. Dort konnte die unheilbar kranke Patientin einen Monat später in den Armen ihrer Schwester sterben. »Daraus habe ich die Lektion gelernt, dass man auch zum Schluss das Ruder noch herumreißen und Konflikte auflösen kann.« (GEA)
HOSPIZEINRICHTUNGEN
Adressen von Hospizeinrichtungen sind auf der Homepage des Hospiz- und Palliativverbands Baden-Württemberg zu finden, unter anderem für die Landkreise Tübingen und Reutlingen. (raw)