TÜBINGEN. Thalassämie-Erkrankte haben trotz verschiedener Therapieformen eine deutlich reduzierte Lebenserwartung. Bislang standen in der Behandlung nur lebenslange Bluttransfusionen zur Verfügung, die oft mit einem Überschuss an Eisen im Körper und einer daraus folgenden Zerstörung der Organe einhergehen. Auch eine Stammzelltransplantation kommt infrage, allerdings können nicht für jeden Patienten geeignete Spenderzellen gefunden werden.
Therapie bereits zugelassen
Die in Tübingen mitentwickelte und weltweit erste erfolgreiche Thalassämie-Gentherapie mit der Genschere CRISPR/ Cas9 ist eine Möglichkeit, Betroffenen ein weitgehend normales Leben ohne diese Erkrankung zu ermöglichen. Weit mehr als 90 Prozent der Teilnehmenden (12 bis 35 Jahre) können seit mehr als zwölf Monaten ohne Transfusionen leben. Die Gentherapie ist bereits von der Europäischen Arzneimittelagentur für Patienten ab zwölf Jahren zugelassen. Dass der Körper von Eleni C. zu wenig Hämoglobin bildet, wurde im Alter von einem Jahr festgestellt. Seitdem beeinflusst die Diagnose Thalassämie ihr ganzes Leben. Alle vier Wochen musste sie in die Tübinger Kinderklinik kommen, damit Hämoglobin zugeführt werden konnte. Seit 2021 ist damit Schluss. Die junge Frau durfte als eine von 52 Kindern und jungen Erwachsenen an einer der weltweit ersten Studien teilnehmen, in der Thalassämie-Erkrankte mit einer Gentherapie behandelt wurden.
Seit mehreren Jahren ist das klinikeigene Labor für Gentherapie unter Leitung von Dr. Markus Mezger an der Erforschung der Therapie beteiligt. Nun konnten gemeinsam mit Wissenschaftlern aus fünfzehn Kliniken in den USA und Europa, darunter neben Tübingen auch die Universitätskliniken Düsseldorf und Regensburg, Zulassungsstudien durchgeführt werden. »Die Gentherapie ist ein fantastisches Beispiel dafür, dass Gentherapien wirksam sind und im klinischen Alltag angewendet werden können«, betont Prof. Dr. Peter Lang, der die Stammzelltransplantationen in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin leitet. Seit 20 Jahren behandelt er Patientinnen und Patienten mit Thalassämie.
Fetales Hämoglobin
Die Therapie kann zwischen wenigen Monaten bis zu einem Jahr dauern. Dazu werden zunächst Stammzellen aus dem Blut entnommen. Die Gentherapie des auf schwere Krankheiten spezialisierten Biotechnologieunternehmens Vertex verändert die blutbildenden Stammzellen der Betroffenen mit der Genschere so, dass diese wieder das funktionsfähige Hämoglobin des frühen Kindesalters (fetales Hämoglobin) bilden, das keine Schäden trägt. Dadurch können die Patienten wieder ohne Bluttransfusionen leben. Danach werden die Erkrankten mit einer Chemotherapie behandelt, die das eigene Knochenmark auslöscht. Im Anschluss werden die genmodifizierten Stammzellen transplantiert, aus denen dann die Blutbildung erneut wieder entsteht. Die Therapie von Eleni C. liegt mittlerweile drei Jahre zurück. Alle drei Monate kommt sie für Kontrollen in die Kinderklinik – die Blutbildung funktioniert einwandfrei.
Ersetzen soll die Gentherapie die Stammzelltransplantation von gesunden Spendern nicht grundsätzlich. »Die Therapie ist vielmehr eine Chance für Erkrankte, für die kein Spender gefunden werden kann oder die aus anderen Gründen keine fremden Stammzellen bekommen können«, erklärt der Thalassämie-Spezialist Lang. Wenn die Auswirkungen der Thalassämie schon zu weit fortgeschritten sind, ist die Genveränderung ebenso ein neuer Behandlungsansatz. Nicht nur für die verschiedenen Formen der Thalassämie ist die Therapie entwickelt worden. (eg)