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Tübinger Forscher bergen uralte Schriftdokumente in Ägypten

Funde aus dem antiken Athribis dokumentieren Handel, Unterricht und sogar Strafarbeiten von Schülern.

Eine große Fundstätte für Ostraka: die Tempelanlage in Athribis, die sich rund 200 Kilometer nördlich von Luxor befindet.  FOTO:
Eine große Fundstätte für Ostraka: die Tempelanlage in Athribis, die sich rund 200 Kilometer nördlich von Luxor befindet. FOTO: MARCUS MÜLLER
Eine große Fundstätte für Ostraka: die Tempelanlage in Athribis, die sich rund 200 Kilometer nördlich von Luxor befindet. FOTO: MARCUS MÜLLER

TÜBINGEN. Ägyptologen haben im antiken Athribis mehr als 18.000 beschriftete Tonscherben geborgen – Überreste von Gefäßen, die vor etwa 2.000 Jahren als Schreibmaterial dienten. Auf den sogenannten »Ostraka« sind Namenslisten dokumentiert, Geschäfte mit Lebensmitteln und Alltagsgegenständen und sogar Schriften einer antiken Schule, darunter Strafarbeiten von Schülern. Funde in dieser hohen Menge kommen äußerst selten vor.

Die Ostraka wurden bei Grabungen unter Leitung von Professor Christian Leitz vom Institut für die Kulturen des Alten Orients (IANES) der Uni Tübingen geborgen in Kooperation mit Mohamed Abdelbadia und seinem Team vom ägyptischen Ministerium für Tourismus und Antike.

In der Antike wurden Tonscherben in großen Mengen als Schreibmaterial genutzt, beschriftet wurden sie mit Tusche und einem Schreibrohr (Kalamus). Eine derart große Menge an Funden ist in Ägypten erst einmal gelungen, in der Arbeitersiedlung Deir el-Medineh, die im alten Ägypten nahe des Tals der Könige in Luxor lag. Die nun geborgenen Ostraka geben vielfältige Einblicke in das Alltagsleben der antiken Siedlung Athribis, knapp 200 Kilometer nördlich von Luxor.

Vorrangig demotische Schrift

Rund 80 Prozent der Tonscherben sind in Demotisch beschriftet, der gängigen Verwaltungsschrift in der Ptolemäer- und Römerzeit, die sich seit etwa 600 vor Christus aus dem Hieratischen entwickelt hatte. Zu den zweithäufigsten Funden zählen Ostraka mit griechischer Schrift, das Team stieß aber auch auf Beschriftungen in hieratischer, hieroglyphischer und – weit seltener – koptischer und arabischer Schrift.

Die Bildostraka gelten als besondere Kategorie der Funde. FOTO: ATHRIBIS-PROJEKT
Die Bildostraka gelten als besondere Kategorie der Funde. FOTO: ATHRIBIS-PROJEKT
Die Bildostraka gelten als besondere Kategorie der Funde. FOTO: ATHRIBIS-PROJEKT

Als besondere Kategorie habe man zudem Bildostraka entdeckt, sagt Christian Leitz. »Diese Tonscherben zeigen verschiedene figürliche Darstellungen, darunter Tiere wie Skorpione und Schwalben, Menschen, Götter aus dem naheliegenden Tempel bis hin zu geometrischen Figuren.« Die Inhalte variieren von der Auflistung verschiedener Namen bis zu Abrechnungen unterschiedlicher Lebensmittel und Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Eine erstaunlich große Anzahl Scherben habe sich einer antiken Schule zuordnen lassen, so das Forschungsteam. »Es gibt Listen von Monatsnamen, Zahlen, Rechenaufgaben, Grammatikübungen und ein sogenanntes Vogelalphabet, jedem Buchstaben wurde ein Vogel zugeordnet, dessen Namen mit diesem Buchstaben begann.«

Eine dreistellige Anzahl an Ostraka enthält zudem Schreibübungen, die das Team als Strafarbeiten einordnet: Die Scherben sind mit den immer gleichen ein oder zwei Zeichen beschrieben, sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite.

Seit 2003 in Athribis

Die Tübinger Ägyptologie arbeitet bereits seit 2003 in Athribis, ab 2005 im Rahmen eines 15-jährigen Forschungsprojekts und mit Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Ziel war die Freilegung und Publikation eines großen Tempels, der von Ptolemaios XII., dem Vater der berühmten Kleopatra VII., errichtet wurde. Dieses Projekt ist mittlerweile abgeschlossen, der Tempel ist jetzt für Besucher geöffnet. Das Heiligtum wurde vor etwa 2 000 Jahren für die Löwengöttin Repit und ihren Gemahl Min errichtet und wurde nach dem Verbot heidnischer Kulte im Jahr 380 nach Christus zu einem Nonnenkloster umfunktioniert. Seit dem Frühjahr 2018 wird westlich des Tempels nach einem weiteren Heiligtum gegraben, dabei stieß das Team in den Schuttmassen auf die zahlreichen Ostraka. Die Grabungen dazu werden kontinuierlich fortgesetzt.

»Schreibe 100 mal …«: Strafarbeiten gab es auch im alten Ägypten schon.
»Schreibe 100 mal …«: Strafarbeiten gab es auch im alten Ägypten schon. Foto: Gea
»Schreibe 100 mal …«: Strafarbeiten gab es auch im alten Ägypten schon.
Foto: Gea

Grabungsleiter Marcus Müller steht vor Ort mit vor immer anspruchsvolleren Aufgaben: Im Westen der Grabungsfläche treten mittlerweile mehrstöckige Gebäude mit Treppen und Gewölben zutage, der Rest der Fläche wurde im Lauf der Jahrhunderte mit Schutt aufgefüllt. Die Auswertung der Ostraka erfolgt durch ein internationales Team, zumeist aus Frankreich und Deutschland. Die Bildostraka werden von Carolina Teotino an der Uni Tübingen erforscht. Die Grabungen werden finanziell unterstützt durch die Gerda-Henkel-Stiftung, die Brunner-Stiftung und die Stiftung Humanismus. (a)