TÜBINGEN. »Mehr Personal für die Pflege. Applaus allein reicht nicht. Faire Löhne für Beschäftigte.« Die Botschaft auf den Spruchbändern und Tafeln am Dienstag auf dem Holzmarkt war eindeutig: Die rund 150 Kundgebungs-Teilnehmer plädierten für Verbesserungen im Gesundheitssystem und sehen die Coronakrise als Anlass, die Weichen anders zu stellen.
Seit fünf Wochen wird im Französischen Viertel einmal die Woche nach Berliner Muster Krach gemacht und applaudiert. Auch auf dem Holzmarkt ging’s damit los. Thomas Maos lieferte mit der E-Gitarre die verzerrten Klänge, die anderen pfiffen mit Flöten und Trillerpfeifen, schlugen auf Topfdeckel oder schwangen Rasseln. »Alle sollen es hören – mit der Pflege stimmt was nicht«, hatte Ralf Jaster verkündet. Der Gewerkschaftssekretär der IG Metall Reutlingen-Tübingen hatte für das Bündnis für mehr Personal in den Krankenhäusern und die anderen Gruppen die Moderation übernommen.
Birgit Peter vom 2017 gegründeten Bündnis sieht die Probleme in der Krise als Folge einer falschen Gesundheitspolitik. »Hier, in einem der reichsten Länder der Erde, wurde behauptet, man könne die Kosten am besten minimieren, indem auf privates Management und auf ökonomische Anreize durch das Fallpauschalen-System gesetzt wird.« Ein Irrweg, finden Peter und ihre Mitstreiter, das System habe sogar Vorkehrungen für Krisen verhindert.
Michael Sauter vom Personalrat der Uniklinik verwies auf die Nachbarländer in Skandinavien, wo eine Pflegekraft vier oder fünf Patienten versorgt. In Deutschland seien es zwölf. Die Pflegekräfte seien gezwungen, vieles »im Schweinsgalopp« zu erledigen. Viele würden selber krank. Sauter und seine Kollegen wollen einen ausreichenden Pflegeschlüssel, bessere Bezahlung und eine Beteiligung des Personals, wenn es um Belegung, Auslastung und Arbeitsaufträge geht. »Bisher dürfen sie nicht mitgestalten.«
Sprecherinnen einer Gruppe von jungen Menschen aus dem Gesundheitswesen (»Kollektiv Gesundheitsgerechtigkeit«) betonten: »Wir möchten in einem Krankenhaus arbeiten und nicht in einer Fabrik. Wir haben einen Beruf gewählt, bei dem der Mensch im Zentrum stehen muss und nicht der Profit, der aus der Behandlung erwirtschaftet wird.«
Die Klimaschützer von »Ende Gelände« begrüßen, dass der Stellenwert der Gesundheits-Versorgung mehr ins Blickfeld rückt. »In der Klimabewegung geht es schon lange nicht mehr nur ums Frösche retten. Die ökologische Frage können wir nicht getrennt von der sozialen Frage betrachten.«
Der Protest in den Stadtvierteln soll ausgeweitet werden. Am Tag zuvor hatte auch das Mühlenviertel applaudiert und Krach gemacht. (GEA)