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Aktuell Krieg

Tübingen will Verbindungen zur russischen Partnerstadt nicht abreißen lassen

Oberbürgermeister Vladimir Lyubarsky aus Petrosawodsk hat auf ein Schreiben von Tübingens OB Boris Palmer geantwortet. Tübingen hat nun beschlossen, die Partnerschaft nicht aktiv zu betreiben während des Krieges - die Verbindungen aber auch nicht abreißen zu lassen.

Das Rathaus von Tübingen
Das Rathaus von Tübingen. Foto: Franziska Kraufmann
Das Rathaus von Tübingen.
Foto: Franziska Kraufmann

TÜBINGEN. Die Tübinger Stadtverwaltung hat Stellung genommen zu der durch den Ukraine-Krieg problematisch gewordenen Städtepartnerschaft mit dem russischen Petrosawodsk. Die Städtepartnerschaft gibt es seit 1989. Sie wurde explizit als Friedensprojekt begründet – um hinter den damals noch existierenden »Eisernen Vorhang« zu blicken und mit den Menschen in Kontakt zu kommen, um für Verständnis und Aufklärung in politisch angespannten Zeiten zu sorgen und durch Begegnung den Frieden zu sichern.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion standen die Reisemöglichkeiten in die östliche Partnerstadt offen. In den folgenden Jahren brachen viele Hundert Menschen in beiden Städten auf, um einander zu besuchen und kennenzulernen. Anfangs wurden zudem viele Hilfstransporte organisiert, die den Menschen in der vom Umbruch betroffenen Region solidarisch Hilfe leisteten. Nicht nur die Stadt, auch viele Organisationen beteiligten sich, wie beispielsweise das Rote Kreuz und die Stadtwerke Tübingen, deren Verbindung zu den Versorgungswerken in Petrosawodsk bis heute besteht. Die Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde stiftete eine Thorarolle nach Petrosawodsk, um die dortige jüdische Gemeinde bei ihrer Neugründung zu unterstützen.

Bis zur Corona-Pandemie war die Partnerschaft mit Petrosawodsk eine der lebendigsten der Tübinger Bürgerschaft. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind diese Verbindungen infrage gestellt. Niemand unterstützt ein Regime, welches einen Angriffskrieg in Europa führt. Man könne nicht nur Präsident Putin die Verantwortung für diesen Krieg geben, meint die Tübinger Stadtverwaltung. Denn auch in Petrosawodsk sitzt die Putin-Partei Einiges Russland an den Hebeln der Macht, stellt den Bürgermeister und den Gouverneur. Wie die Bürger von Petrosawodsk zu diesem Angriffskrieg stehen, könne angesichts der Einschränkungen von Informations- und Pressefreiheit nicht abschließend beurteilt werden.

Experten seien uneins in der Bewertung der Situation. Teils werde ein Abbruch oder gar eine Aufkündigung der Partnerschaft gefordert, um deutlich zu zeigen, dass man Kriegstreiber nicht unterstützt. Es wird aber auch appelliert, in Verbindung zu bleiben, den Dialog aufrechtzuerhalten und Russland nicht in eine komplette Isolation und Abschottung zu treiben.

Oberbürgermeister Vladimir Lyubarsky aus Petrosawodsk habe nun auf das Schreiben von OB Boris Palmer von Ende Februar geantwortet. In seinem Brief wirbt er dafür, die Beziehungen nicht abreißen zu lassen. Er erkennt die »schwierigsten Zeiten« an – einen Krieg gibt es nach offizieller Lesart in Russland nicht – und stellt die Bedeutung der Partnerschaft für die Menschen in den Vordergrund: »Die Verwaltung von Petrosawodsk unterstützt den Wunsch, freundschaftliche Beziehungen zwischen unseren Städten zu pflegen. Die Methoden der People-to-People-Diplomatie sollten auch in den schwierigsten Zeiten funktionieren, wenn sie am wichtigsten sind. Wir müssen die Brücken, die in den letzten dreiunddreißig Jahren gebaut wurden, erhalten und an die nächsten Generationen unserer Städte weitergeben.«

Die Verwaltung hat den Tübinger Politikwissenschaftler Dr. Rolf Frankenberger um Einschätzung dieser Antwort gebeten. Er sieht in den Formulierungen die vorsichtig formulierte Bitte, Brücken nicht abzureißen, und konstatiert, dass es ein positives Signal sei, dass die Stadt Petrosawodsk und ihr Bürgermeister die Beziehungen zu Tübingen wertschätzen und aufrechterhalten möchten.

Solange es Krieg in der Ukraine gibt, wird die Stadtverwaltung Anfragen aus der Zivilgesellschaft in jedem Einzelfall genau prüfen. So wird etwa die Vergabe eines Stipendiums für die Sommerkurse der Uni Tübingen nach längerer Abwägung in diesem Jahr abgesagt. Solange der Krieg in der Ukraine andauert, will die Stadt Tübingen die partnerschaftlichen Kontakte nach Petrosawodsk nicht aktiv betreiben. Sie ist aber überzeugt, dass in dieser Zeit Gesprächskanäle offengehalten werden müssen und ein vollständiger Abbruch der städtepartnerschaftlichen Beziehungen ein falsches Signal wäre insbesondere an jene Menschen in Verwaltungen und Zivilgesellschaft, denen an Frieden und Verständigung gelegen sei, die den Krieg und die Putin’sche Politik auch in Russland kritisieren. (eg)