TÜBINGEN. Er war der Mann »zwischen Kapitänskajüte und Mannschaftsquartier«. Der bei Hans Küngs Weltethos-Projekt auf die konkrete Umsetzung achtete. Der 29 Jahre als Generalsekretär und Geschäftsführer Verantwortung trug. Jetzt hat Stephan Schlensog (66) die Aufgabe in jüngere Hände gegeben. Seine Nachfolgerin ist Lena Zoller. Sie war bisher Bereichsleiterin bei der Stiftung. Sie versprach bei der Übergabe, man werde »die Idee von Hans Küng in die Zukunft tragen - das Projekt ist aktueller denn je«.
Schlensogs erster Kontakt mit dem großen Theologen war gleich positiv. 1984 bewarb er sich bei Küng um eine Mitarbeiterstelle an der Uni. »Ich hatte einen Bart und sah aus, wie ein aus Poona geflüchteter Aussteiger.« Schlensog hatte tatsächlich einen längeren Indien-Aufenthalt hinter sich, doch Küng störte sich nicht an seinem Äußeren, sondern erklärte: »Sie sind mir sympathisch.«
»Wir hatten ganz zu Anfang das römische System - mit Hans Küng als Papst. - Stephan Schlensog«
Schlensog weiß viele Anekdoten und hat miterlebt, wie das Weltethos-Projekt schon vor dem Start zu scheitern drohte. Unternehmer Karl Konrad von der Groeben hatte Küng 1995 angerufen, um ihm seine Unterstützung anzutragen. Der Vielbeschäftigte war am Telefon kurz angebunden und wimmelte den Anrufer ab. Von der Groeben könne ihm ja einen Brief schreiben. Der Abgewiesene blieb hartnäckig, und irgendwann später wurde klar, welch vorteilhaftes Angebot da im Raum stand. Der Stifter stellte schließlich fünf Millionen Mark als Startkapital zur Verfügung.
»Küng war die charismatische und dominante Führungsfigur«, sagt Schlensog. Das führte aber auch dazu, dass der Theologe und Buchautor alles bestimmte. »Wir hatten ganz zu Anfang das römische System - mit Hans Küng als Papst.« Als Chef ist der Präsident der von ihm mitgegründeten Stiftung sehr fordernd gewesen. Zurück von sehr strapaziösen Dreharbeiten für einen Fernsehfilm in Indien lautete seine Ansage an Mitarbeiter Schlensog: »Sie dürfen morgen eine Stunde später kommen.« Der erinnert sich: »Eine Stunde - ich hätte eine Woche Urlaub gebraucht.« Küng selbst habe sich am nächsten Tag an den Schreibtisch gesetzt und weiter gearbeitet wie sonst auch.
»Damit die Welt nicht noch dunkler wird - Lena Zoller«
Der scheidende Geschäftsführer betont: Beim Weltethos geht es nicht allein um hehre Ideen. Es geht um die Grundsätze des alltäglichen Zusammenlebens, um gutes Miteinander, um Fairness, Toleranz und Respekt." Fanatischen Wirrköpfen könne man mit einem Mitarbeiterstab von nicht ganz einem Dutzend Menschen nur begrenzt entgegentreten. Doch das große Echo auf vielen Ebenen beweise, dass man auf dem richtigen Weg sei. "Manche hielten das Projekt Weltethos für eine Utopie. Aber es ist eine Vision." Und der 2021 gestorbene Küng habe den visionären Mut besessen und die Sache vorangetrieben. "In dieser Beziehung war er genial."
Nachfolgerin Lena Zoller spricht von einem herausfordernden Auftrag und findet: »Weltethos gibt den Anstoß, ins konkrete Handeln zu kommen.« Die Friedens- und Konfliktforscherin betont: »Es braucht solche positiven Visionen, damit die Welt nicht noch dunkler wird.« (GEA)