TÜBINGEN. Ob Schülerinnen und Schüler vom Einsatz von Technologie im Unterricht profitieren, hängt weniger davon ab, wie intensiv digitale Medien eingesetzt werden als vielmehr davon, wie sie genutzt werden. Wenn ihr Einsatz zum Nachdenken anregt oder beispielsweise dazu, Ergebnisse zu diskutieren, haben sie durchaus das Potenzial, die Lernbereitschaft der Schülerinnen und Schüler positiv zu beeinflussen. Das konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen und vom Leibniz-Institut für Wissensmedien in einer Studie zeigen. Sie untersuchten, ob der Einsatz digitaler Medien die Lernbereitschaft der Schülerinnen und Schüler positiv beeinflussen kann und ob Veränderungen im Lernverhalten sowohl mit der Häufigkeit als auch mit der Qualität des Einsatzes in Zusammenhang stehen. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Contemporary Educational Psychology veröffentlicht.
Dabei machte es einen Unterschied, in welchem Fach die digitalen Medien eingesetzt wurden. Im Mathematikunterricht erhöhte sich die Lernbereitschaft der Schüler sowohl kurz- als auch langfristig, wenn diese den Einsatz der digitalen Medien als kognitiv aktivierend empfanden – unabhängig von der Häufigkeit des Einsatzes. Im Fach Deutsch hingegen war entscheidend, wie oft die digitalen Medien eingesetzt wurden. Je häufiger die Schüler Tablet-Computer nutzten, desto positiver veränderte sich ihre Lernbereitschaft.
Art der Nutzung entscheidend
In der Studie erhielten rund 700 Schülerinnen und Schüler in 28 siebten und achten Klassen an 14 weiterführenden Schulen in Baden-Württemberg Tablets. Die Lehrkräfte wurden gebeten, diese in ihren Unterricht zu integrieren, sie wurden aber nicht dazu verpflichtet. In einem Zeitraum von 16 Monaten wurden sowohl Lehrkräfte als auch Schüler zu ihren Wahrnehmungen zum Unterricht mit Tablets befragt.
Um herauszufinden, wie hoch die Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler war, sich anzustrengen, beantworteten sie beispielsweise Fragen wie: »… habe ich mich so sehr angestrengt, wie ich konnte« oder »… habe ich versucht, so viel zu lernen wie ich konnte«. Die Qualität des Unterrichts wurde danach beurteilt, wie sehr die Schüler ihren Unterricht als kognitiv aktivierend wahrnahmen.
So wurden sie zum Beispiel gefragt, ob ihre Lehrkraft sie im Unterricht auch manchmal mit ihren eigenen Vermutungen in die Irre gehen und die Schüler diese Irrwege selbst erkennen lässt. In Bezug auf die Häufigkeit der Nutzung im Mathematikunterricht fand das Forschungsteam keine positiven Zusammenhänge mit der Veränderung der Lernbereitschaft. Je kognitiv aktivierender sie jedoch den Unterricht wahrnahmen, desto positiver veränderte sich auch ihre Bereitschaft, sich anzustrengen. Zudem war die Veränderung der Lernbereitschaft bei Mädchen positiver als bei Jungen.
»Wie bei jedem anderen Medium auch scheint die entscheidende Frage zum Einsatz digitaler Medien für einen lernförderlichen Unterricht nicht zu sein, ob digitale Medien im Unterricht eingesetzt werden oder nicht, sondern vielmehr auf welche Art und Weise sie genutzt werden, um einen qualitativ hochwertigen Unterricht zu gestalten«, sagt Tim Fütterer vom Hector-Institut, der Erstautor der Studie.
Multiperspektivität als Mehrwert
Dass sich im Deutschunterricht die Häufigkeit des Einsatzes bedeutsamer für die Lernanstrengung erwies, könnte daran liegen, dass hier der Neuheitseffekt zum Tragen kommt, da in diesem Fach digitale Medien seltener eingesetzt werden. Beim Neuheitseffekt wird die Aufmerksamkeit kurzzeitig erhöht, er ist jedoch nicht von Dauer. »Eine mögliche Erklärung für die Fachunterschiede könnte zudem sein, dass Mathematiklehrkräfte technikaffiner sind – das sehen wir in unseren Daten. Eine andere Erklärung könnte sein, dass es für den Mathematikunterricht passendere Softwareanwendungen gibt«, ergänzt Fütterer.
»Nachhaltige Wirkungen mit digitalen Medien lassen sich dann erzielen, wenn ihre lernbezogenen Potenziale ausgeschöpft werden. Beispielsweise können dynamisch-interaktive Visualisierungen in multimedialen Lernumgebungen Phänomene so illustrieren, dass sie tiefer gehend verarbeitet werden«, erklärt Professorin Katharina Scheiter vom Leibniz-Institut für Wissensmedien. Auch die Multiperspektivität ist ein Mehrwert digitaler Medien. Das bedeutet, dass Themen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden können, zum Beispiel aus der der Wissenschaft, des Journalismus oder aus Beiträgen in Diskussionsforen. Zudem ist es bereits möglich, mit digitalen Lernangeboten individuell auf die Bedürfnisse einzelner Schüler einzugehen.
Doch noch immer hängt Deutschland bei Digitalisierung der Schulen im internationalen Vergleich weit hinterher. Noch 2020 mussten sich fast zehn Schüler ein digitales Gerät teilen, während in den USA das Verhältnis bei weniger als zwei liegt. Außerdem fühlen sich die Lehrkräfte nur unzureichend auf den Unterricht mit digitalen Medien vorbereitet. (u)