TÜBINGEN. Es ist still geworden in Tübingens Altstadt. Die meisten Läden sind geschlossen, das sonst so emsige Treiben ist wie ausradiert. In der Gesprächsreihe »Wie geht’s eigentlich...?« der SPD in Tübingen wollten Abgeordnete per Videokonferenz wissen, wie Einzelhändler auf den zweiten Lockdown und die dadurch vereinsamten Innenstädte blicken.
Mit der Heftigkeit der Antworten hatten sie wohl kaum gerechnet. »Die Politik hat ihr letztes bisschen Vertrauen im Textil- und Einzelhandel verspielt«, schleuderte Zinser-Geschäftsführer Christian Klemp den SPD-Politikern schon zu Beginn entgegen. Trotz umfassender Hygienekonzepte und sinkender Fallzahlen ist keine Öffnung seiner Modegeschäfte in Aussicht.
Wie Christian Klemp sind gerade viele Ladenbesitzer frustriert. Die Umsatzzahlen stürzen in die Tiefe, auch der Umstieg auf eine Online-Verkaufsstrategie war bei den meisten bisher nicht von Erfolg gekrönt, wie die kleine Runde per Videoschalte berichtet. »Durch den Aufbau eines Online-Handels haben wir doppelt so viel Arbeit für einen gering bleibenden Ertrag – aus betriebswirtschaftlicher Sicht lohnt sich das überhaupt nicht«, erklärt Ralph Heidorn, der ein Dekorationsartikelgeschäft in Filderstadt führt.
Die Antworten aus der SPD offenbaren die Zweischneidigkeit der Thematik. »Es ist nie versprochen worden, dass es ein festes Datum für die Öffnung geben wird«, betont der Tübinger Bundestagsabgeordneter Martin Rosemann. Man müsse abhängig von der Inzidenz und im Hinblick auf die neuartigen Mutationen abwägen, wann eine Lockerung der Regelungen sinnvoll sei.
Gegen verfrühte Öffnungen
Das vorrangige Ziel sei es, die Pandemie unter Kontrolle zu behalten. Verfrühte Öffnungen, so Rosemann, hätten hier einen gegenteiligen Effekt und würden nur eine erneute Schließung bewirken. Andererseits müsse aber auch verhindert werden, dass kleinere Läden bei der aktuellen Entwicklung auf der Strecke bleiben, erklärt der SPD-Abgeordnete: »Wir wollen sicherstellen, dass durch die Pandemie keine Existenzen kaputtgehen.«
Sabine Poschmann, stellvertretende wirtschaftspolitische Sprecherin, gibt außerdem einen weiteren Aspekt als Denkanstoß in die Runde: Wo Läden schließen müssten, entstehe Platz für Neues – in Städten könne dies möglicherweise den positiven Effekt haben, dass mehr Wohnraum geschaffen werde.
Damit möchten sich die Einzelhändler aber nicht zufriedengeben. »Wir bräuchten eine neue Strategie, um uns neu zu sortieren«, erklärt der IT-Berater Timo Klein aus Karlsruhe.
Er erhält Bestätigung durch die Tübinger SPD-Landtagskandidatin Dorothea Kliche-Behnke, die auch als Referentin der Geschäftsführung eines Stuttgarter Großunternehmens tätig ist und somit einiges an Praxiserfahrung mitbringt. »Bislang ist das Einkaufen vor Ort für Konsumenten deutlich attraktiver als der Onlinehandel«, erklärt die stellvertretende Landesvorsitzende der Partei: »Künftig wird deswegen die Ausbildung im Bereich des digitalen Handels stärker gefragt und benötigt werden.«
Ein Zusammenschluss kleinerer Händler oder eine gemeinsame Plattform, so das Resümee der Runde, sei ein wünschenswerter Schritt, um das Onlinegeschäft besser ins Laufen zu bringen. Bis das erreicht ist, sei der Weg aber noch weit. (GEA)