TÜBINGEN. Ein neues innovatives Therapiekonzept am Uniklinikum Tübingen ermöglicht Kindern und Jugendlichen mit Zwangsstörung die Behandlung ihrer Zwänge direkt zu Hause. Mithilfe modernster Sensortechnik können körperliche Anzeichen von Stress und Angst in Echtzeit erfasst und so innerhalb der therapeutischen Videositzungen zur Individualisierung der Behandlung genutzt werden. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert.
Wer geht nicht einmal zurück, um zu kontrollieren, ob die Haustür wirklich verschlossen ist? Einmal, vielleicht sogar zweimal – jedem sind solche Unsicherheiten bekannt. Entwickeln sich aus den alltäglichen Zweifeln jedoch Zwänge, kann das Leben zur Qual werden.
Bei Zwangsstörungen handelt es sich um eine psychische Erkrankung. Betroffene leiden an aufdringlichen Gedanken oder Vorstellungen, die sie zwar als belastend und unsinnig empfinden, die sich jedoch nicht einfach unterdrücken lassen. Zwangsstörungen können nicht nur Erwachsene, sondern auch Jugendliche und sogar Kinder entwickeln. Für sie hat die Tübinger Kinder- und Jugendpsychiatrie ein besonderes onlinebasiertes Therapiekonzept etabliert.
Gezielte Unterstützung
SSTeP KiZ (Smarte Sensorik bei Telepsychotherapie von Kindern und Jugendlichen) kommt im Rahmen der online durchgeführten kognitiven Verhaltenstherapie zum Einsatz. Mithilfe modernster Sensorik können körperliche Anzeichen von Stress und Angst insbesondere während der Expositionssitzungen direkt erfasst werden, sodass die Kinder und Jugendlichen gezielt bei Übungen unterstützt werden können. Die jungen Patienten und Patientinnen tragen dafür verschiedene Sensoren am Körper: Eine Eye-Tracking-Brille hilft, Angst auslösende Objekte zu identifizieren, ein Brustgurt überwacht die Herzfrequenz und damit das Erregungsniveau, und Sensoren an den Armen können spezifische Bewegungsmuster bei der Ausführung von Zwangshandlungen aufzeichnen. Eine am Uniklinikum Tübingen speziell entwickelte Smartphone-App schätzt täglich das Ausmaß der Zwänge ein.
Die mithilfe der Sensoren gewonnenen Informationen werden dem Therapeuten oder der Therapeutin während der Sitzung in Echtzeit übertragen und können so von ihm oder ihr unmittelbar für eine effektivere und eine individuell auf die Kinder und Jugendlichen angepasste Behandlung genutzt werden.
Das Projekt wird vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert, bisherige Einsätze des onlinebasierten Therapiekonzepts zeigten sich bereits als erfolgreich: »Der Großteil der Kinder und Jugendlichen hatte nach Abschluss der Behandlung deutlich weniger und manche sogar tatsächlich gar keine Zwänge mehr«, so Psychologe Karsten Hollmann, der das Projekt initiiert hat und leitet.
Die neue Studie richtet sich an Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren, die unter Zwangsstörungen leiden. Die Behandlung ist onlinebasiert, in Form von Videokonferenzen können die therapeutischen Sitzungen so ortsunabhängig von zu Hause aus durchgeführt werden. (ukt)
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