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Aktuell Tradition

Rassismus-Debatte an der Krippe - auch in Rottenburg

In der Weggental-Kirche von Rottenburg steht eine sogenannte Missionsspardose. Immer wieder entzündet sich am »Nicknegerle« eine Diskussion. Das Münster in Ulm verzichtet mittlerweile auf solche Figuren.

Missionsspardose auch Nicknegerle aus der Wallfahrtskirche Weggental in ROttenburg Traditionsfigur rund 100 Jahre alt
Die Missionsspardose, im Volksmund auch »Nicknegerle« genannt, in der Wallfahrtskirche im Weggental in Rottenburg. Die Figur ist rund 100 Jahre alt. Foto: Jürgen Meyer
Die Missionsspardose, im Volksmund auch »Nicknegerle« genannt, in der Wallfahrtskirche im Weggental in Rottenburg. Die Figur ist rund 100 Jahre alt.
Foto: Jürgen Meyer

ROTTENBURG. Tausende Familien werden in den kommenden Wochen in die barocke Rottenburger Wallfahrtskirche im Weggental pilgern, um sich dort die vom schwäbischen Heimatdichter Sebastian Blau verewigte Krippe anzuschauen. Die Krippe wurde um 1840 von Leopold Lazaro geschnitzt, einem Handwerker, dessen Familie aus dem italienischen Como stammte. Ursprünglich stand sie in der Gastwirtschaft »Waldhorn« in der Rottenburger Innenstadt, wo heute das gleichnamige Kino ist. Doch als die Wirtin Kreszentia Fischer, eine gläubige Katholikin, bemerkte, dass ihre Gäste in betrunkenem Zustand mit den Krippenfiguren spielten und derbe Scherze trieben, spendete sie die Krippe den Mönchen im Weggental. Seither ist die Krippe dort jedes Jahr eine Ausflugsattraktion – auch deshalb, weil sie bis Maria Lichtmess am 2. Januar vier verschiedene biblische Szenen zeigt. Am Heiligabend kommt das Jesuskind in die Krippe, am 6. Januar kommen die drei Könige hinzu, anschließend werden »Die Hochzeit zu Kanaa« und »Der zwölfjährige Jesus im Tempel« gezeigt.

Missionssammeldose Hausen im Killertal
Missionssammeldose in Hausen im Killertal im Zollernalbkreis. Foto: Jürgen Meyer
Missionssammeldose in Hausen im Killertal im Zollernalbkreis.
Foto: Jürgen Meyer

Diskussionen gibt es jedes Jahr darum, ob eine sogenannte Missionsspardose – im Volksmund auch »Nicknegerle« oder »Heidenbüble« genannt – an der Weggentalkrippe aufgestellt werden soll. Sie stand traditionell immer bei der Krippe, wurde dann nach einer medialen Rassismus-Diskussion für einige Jahre nicht aufgestellt und sammelte stattdessen in einer Hausarztpraxis, und steht seit einigen Jahren wieder an der Krippe. Mit dieser Diskussion ist Rottenburg nicht allein. Missionsspardosen standen früher an vielen Krippen in den Kirchen. Zeitungen berichteten in den letzten Jahren etwa über Figuren in Dudeldorf (Rheinland-Pfalz), Owingen (Bodenseekreis), Nettersheim (Nordrhein-Westfalen) oder Winzenheim (Rheinland-Pfalz). Im Diözesandepot in Rottenburg finden sich auf GEA-Nachfrage zwei solcher Dosen: »Ein Junge, der auf einem Elefanten reitet (1. Hälfte 20. Jahrhundert) und ein weiterer Junge of color, der auf exotischen Palmzweigen sitzt und ein Spendengefäß in seinen Armen hält (um 1900)«, schreibt Iris Dostal-Melchinger, die in der Kunstinventarisierung der Diözese arbeitet. »Bei einer Inventarisierung fanden sich 120 Missionssammeldosen mit 50 Motiven im Bistum«, berichtet sie.

Debatte um Missionierung

Missionsspardosen sind Figuren aus Holz, Gips oder Pappmaché, die den Kopf bewegen können, wenn jemand Geld einwirft. Meistens stellen sie ein schwarzes Kind dar, aber es gab sie auch als Indianer, Chinesen, Inder oder Engel. Oft waren daran Sprüche angebracht wie: »Ich war ein armer Heidensohn – nun kenn ich meinen Heiland schon – Ich bitte darum jedermann – nehmt Euch der armen Heiden an« oder »Willst du den Heiden Hilfe schicken, so lass mich Armen freundlich nicken«.

Um 1850 sind die ersten dieser Figuren aus dem Kreis Böblingen bekannt, weil die Pietisten als erste in Afrika missionierten und dafür Geld sammelten. Populär wurden die Figuren ab 1886 als in den deutschen Kolonien wie Tansania, Kamerun oder Togo missioniert wurde. Die deutschen Kolonien gingen im Ersten Weltkrieg verloren, missioniert wurde aber weiterhin. Missionsspardosen standen früher nicht nur in katholischen und evangelischen Kirchen, sondern auch in Amtsstuben und Geschäften.

Die Münsterkrippe wird nicht  mehr aufgestellt.
Die Münsterkrippe in Ulm wird nicht mehr aufgestellt. Foto: Sebastian Gollnow
Die Münsterkrippe in Ulm wird nicht mehr aufgestellt.
Foto: Sebastian Gollnow

Ab 1960 geriet die Mission im Zuge der Dekolonialisierung in die Kritik. Die Diskussion, ob Missionare eher Werkzeuge der Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung waren oder ob sie durch ihre Schulen und Krankenhäuser eher zur Emanzipation beigetragen haben, hält bis heute an. »Das päpstliche Missionswerk der Kinder ließ 1964 die nickenden persons of color offiziell abschaffen. Daraufhin wurden neue Modelle entwickelt, die alten wurden teilweise umgewandelt und weiterhin genutzt«, berichtet Dostal-Melchinger.

Heute bezahlen Sammler für solchen historischen Figuren bis zu 300 Euro – es sind jedoch auch Fälschungen aus China im Umlauf. Kunsthistorikerin Iris Dostal-Melchinger verweist darauf, dass das Diözesanmuseum Rottenburg 2024 ein Tagesseminar mit dem Titel »Gefährliche Bildwerke. Zu Vermittlung von Kunstwerken mit diskriminierendem Potential« im Rahmen der ökumenischen Kirchenführerausbildung veranstaltet habe.

Nicht um eine Missionsspardose, aber um eine expressionistische Krippenfigur ging es bei einer Rassismus-Diskussion 2020 im Ulmer Münster. Damals entschied der Kirchengemeinderat unter dem damaligen Münsterdekan und heutigen evangelischen Landesbischof, die 1920 vom Künstler Martin Scheible gestaltete und 1992 von dessen Erben gestiftete Krippe nicht mehr aufzustellen. Die Figuren sind allesamt im Stil der Zeit überzeichnet dargestellt, Anstoß genommen wurde aber an der Figur des Melchior mit Federschmuck und dicken Lippen, die als rassistische Klischees ausgelegt wurden. Mehr noch, Melchior trägt in der Hand eine Brezel. Das nimmt Bezug auf die Legende vom »Brezelkönig«. Dieser habe dem Jesuskind eine Brezel mitbringen wollen, auf dem langen Weg jedoch immer wieder selbst davon abgebissen – je nach Version auch Bettler davon abbeißen lassen – und als er an der Krippe ankam, war nur noch ein kleiner Brocken übrig. Daraufhin habe sich der König »schwarz geärgert«.

Ulm stellt keine Krippe mehr auf

In Ulm endete die Diskussion damit, dass der Kirchengemeinderat einstimmig den Beschluss fasste, künftig keine Krippenfiguren mehr aufzustellen, wie der evangelische Landesbischof von Württemberg, Ernst-Wilhelm Gohl auf GEA-Anfrage mitteilte. Dies wiederum sorgte laut Medienberichten bei einigen Leuten für Proteste. Die Scheible-Krippe verschwand im Depot. 2023 entschied der Kirchengemeinderat, sie der Besitzerfamilie zurückzugeben. Im gleichen Jahr war die Krippe auf einer Sonderausstellung zum 150. Geburtstag des Künstlers Martin Scheible in der Künstlergilde Ulm zu sehen. Künftig könnte die Krippe einen Platz im Stadtmuseum Ulm finden, das derzeit umgebaut, um im nächsten Jahr neu eröffnet wird. »Es ist unsere Aufgabe zu zeigen, in welcher Zeit Künstler gelebt haben und was sich aus dieser Zeit in ihrer Kunst spiegelt«, sagte Direktorin Stefanie Dathe. (GEA)