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Palmer bei Lanz: Stadtwerke Tübingen verdienen sich goldene Nase, Industrie leidet

Die Stadtwerke Tübingen profitieren extrem von hohen Gaspreisen, auf der anderen Seite geraten Betriebe durch die stark steigenden Energiekosten in Schwierigkeiten. Wie das sein kann und was dagegen unternommen werden müsste, erklärt OB Boris Palmer bei Markus Lanz.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer forderte Hilfen für die Industrie. Foto: Screenshot
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer forderte Hilfen für die Industrie.
Foto: Screenshot

HAMBURG/TÜBINGEN. Die Kasse in Tübingen klingelt. Allerdings nicht bei den Betrieben, wo Geld und Entlastungen dringender denn je gebraucht werden, sondern bei den Stadtwerken. Wie das möglich ist, erklärte Tübingens OB Boris Palmer am Dienstagabend bei Markus Lanz in dessen gleichnamiger Talkshow. Auch der Politiker Roderich Kiesewetter, Journalist Ranga Yogeshwar und Journalistin Alice Bota waren zu Gast.  

Strom für das zehnfache verkaufen

Die großen Profiteure der stark gestiegenen Strompreise seien Energieversorger wie die Tübinger Stadtwerke, berichtete Tübingens OB bei Lanz und rechnete vor: »Bei der aktuellen Marktsituation können wir zehnmal mehr erlösen, als wir Kosten für die Produktion haben.« Das liege daran, dass die Tübinger Stadtwerke zwei Drittel ihres Strombedarfs aus Solar- und Windkraft generieren, sich der Preis auf dem Energiemarkt aber immer nach den teuersten Kraftwerken richte. Während der Preis für Strom aus Gaskraftwerken extrem hoch sei, »ist die Sonne nicht teurer geworden. Aber verkaufen kann man den Strom an der Börse jetzt für den zehnfachen Preis«, erklärte Palmer.

Das Ergebnis sind laut Palmer "reine Zufallsgewinne" für Energieversorger. Auf die Frage von Lanz, ob er gegen diese Gewinne sei, antwortete er: Ich bin dagegen, dass ich diese Gewinne mache. Ich will nicht für das zehnfache an der Börse verkaufen, weil das Geld woanders fehlt." Besagte Unternehmen würden sich aktuell "eine goldene Nase" verdienen. Selbst Kohlekraftwerke würden enorme Gewinne durch den hohen Preis für Strompreis machen. Es bedürfe einer politischen Steuerung des Preises. 

Verstromung auf Öl umstellen, um Gas zu sparen

Aufgrund der Gasknappheit und der Unverzichtbarkeit des Rohstoffes für die Industrie, plädierte Palmer dafür, auf Gas für die Strom- und Wärmeerzeugung zu verzichten. In Tübingen liege der Anteil des Gasverbrauchs für die Verstromung bei 20 Prozent, bundesweit bei rund zehn Prozent. Wichtiger sei das Gas für die Industrie, die nicht darauf verzichten könne: »Es darf nicht passieren, dass die Lichter ausgehen. Es darf nicht passieren, dass der Industrie das Gas abgedreht wird. Was notwendig ist, um das zu verhindern, muss getan werden.« 

Eine Umstellung sei in Tübingen wie in ganz Deutschland im Prinzip einfach möglich, doch es bedürfe der Unterstützung der Politik: "Als Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke Tübingen weiß ich, dass ich morgen den Hebel umlegen könnte und alle Stromkraftwerke, die auf Gas basieren, ausschalten könnte." Aber "ich kann es nicht machen, weil ich dafür ins Gefängnis gehen würde". Schließlich würde es sich um Veruntreuung von Geld im großen Stil handeln: "Es würde für die Stadtwerke Tübingen bis März nächsten Jahres einen Verlust von 25 Millionen Euro bedeuten." Kurzfristig müsse teurer Strom an der Börse zugekauft werden. Deshalb appelliert Palmer an die Bundesregierung: "Wir brauchen ein Angebot an die Betreiber der Kraftwerke." Damit die den Schaden kompensiert bekommen." 

Betriebe in Tübingen geraten in Not

Ein riesiges Problem sieht Palmer auf Betriebe durch die immer weiter steigenden Gaspreise zukommen. »Wir stehen am Abgrund einer Deindustrialisierung«, sagte Palmer. Es fehle an großen und bundesweiten Maßnahmen zum Schutze unserer Wirtschaft und Industrie. »Energieintensive Betriebe können keine Gasumlage draufbezahlen. Da muss eine Ausnahme gemacht werden«, forderte er. Die Auswirkungen seien bei ihm vor der Haustüre bereits spürbar.

In Tübingen-Hagelloch müsse jetzt ein Bäcker nach 92 Jahren aufgrund der gestiegenen Mehrkosten schließen. Auch das Textilunternehmen Rösch Fashion, das in hohem Maße von Gas abhängig sei, stehe vor großen Problemen, wenn keine Hilfen kommen, sagt Palmer. Eine Aussetzung der Gasumlage wäre zwar jetzt mit erheblichen Mehrkosten verbunden, wichtiger wäre aber eine gut aufgestellte Wirtschaft mit Betrieben, die die Krise überleben und die Hilfen dann in Form von Steuereinnahmen zurückzahlen, argumentiert der Tübinger OB. (GEA)