MÖSSINGEN. Ein Wildbienenhaus an der Kirchenmauer, ein Wildbienenblütenmeer schräg gegenüber der Straße, etliche Nistkästen an Kampanile, Kirchendach und Pfarrhaus für Mauersegler, Fledermäuse, Turmfalken oder Schwalben. Neu und ungeplant: ein dickes Hornissennest unter dem Gebälk des Daches. Zahlreiche Rosenbüsche zieren die Gartenanlage rund um die Martin-Luther-Kirche (MLK). Eine englische Parkbank aus Fairtrade-Teakholz lädt zum Verweilen und zur Kontemplation ein, daneben steht sogar ein Aschenbecher für die lasterhaften Sünder. Ein Idyll, wie es im Buche steht, zu einem »locus amoenus« würde Goethe diesen Ort adeln.
Verantwortlich für dieses kleine Paradies in Mössingens Stadtmitte ist der Kirchengemeinderat Mössingen, der bezüglich oben genannter Dinge Entscheidungen für die MLK gefällt hat, die richtig waren. Dies gelte als »besonderer Akzent für Nachhaltigkeit, Bewahrung der Schöpfung und Fairness an dieser Kirche«, so Pfarrerin Frauke Dietz. Kann man wirklich noch mehr für die Harmonie zwischen Mensch und Natur anstellen?
Man kann. Benedikt Müller, Mittdreißiger, schon seit 15 Jahren Kirchengemeinderatsmitglied und inzwischen stellvertretender Vorsitzender, von Beruf Entwicklungsingenieur, war beim Planen der eigenen vier Wände nebst Fotovoltaik-Anlage überzeugt: »Es gibt Besseres als nur warme Dachplatten.«
Weil er schon mal am Planen war, plante er vorsorglich das riesengroße Kirchendach der MLK gleich mit. Und stellte seine Überlegungen in der nächsten Sitzung des Kirchengemeinderates (KGR) vor. Es gab intensive Diskussionen unter den 19 Entscheidungsträgern. Sollte man nicht erst einmal abwarten, bis Fördermittel beantragt werden können, statt hierfür eigene Reserven anzutasten? Denn so eine Fotovoltaik-Anlage auf dem Kirchendach koste schließlich rund 45 000 Euro.
Mit Denkmalamt im Gespräch
Im Februar 2022 beschloss das Gremium mehrheitlich: Die Fotovoltaik-Anlage kommt. Komme, was da wolle. Ein anschließender Spendenaufruf, der unterschiedlichste Menschen, selbst Nichtmitglieder der Kirche bereitwillig Geld geben ließ und 5 000 Euro einbrachte, erstaunte selbst das Pfarrerehepaar Braun-Dietz: »Wir waren überwältigt.« Der Beschluss zum Bau erwies sich als Glück, denn: »Vor dem Ukraine-Krieg waren die Preise noch erschwinglicher und die Nachfrage war nicht ganz so krass«, so Pfarrer Uwe Braun-Dietz.
Die Montage erfolgte im Juni durch eine Genkinger Firma, die gerade noch Kapazitäten freihatte. Seit Mitte Juli 2022 wird Strom produziert und in das kommunale Netz eingespeist. »Das passt zum ökologischen Konzept an der Martin-Luther-Kirche«, stellt Frauke Dietz fest. Und rechnen wird sich die Anlage bei den explodierenden Strompreisen ebenfalls nicht erst in 20 Jahren.
In einer Kirchengemeinde im Hohbuch (Reutlingen) gibt es bereits seit über 20 Jahren eine PV-Anlage. »Weil Kirchen mit dem Chor nach Osten ausgerichtet sind, haben diese meist große, steile Süddächer«, so Braun-Dietz. Prädestiniert also für Solarenergie. Leider mache der Denkmalschutz bei alten Kirchen der nachhaltigen Stromgewinnung noch einen Strich durch die Rechnung. Aber auch hier scheint sich etwas zu bewegen: »Wir sind im Gespräch mit dem Denkmalamt«, bestätigte Maren Auer vom Umweltreferat der Landeskirche auf Nachfrage unserer Zeitung. (och)