KREIS TÜBINGEN. Laut, bunt und für jeden Spaß zu heben: Am Schmotzigen Donnerstag ergreifen Narren die Macht in Rathäusern.
Ofterdingen
Ofterdingen ist stabil. Oder Stabilo? Die Narren stürmten dort nicht ins Rathaus, sondern mussten sich den Schlüssel mühsam erspielen. Jedenfalls versuchten sie es. Um 9.52 Uhr rollte der Hexenwagen mit lauter Partymusik vor, die Belegschaft stand bereits vor der Tür. »Ihr seht müde aus, wollt Ihr zum Wachwerden ins Rathaus?«, scherzte Bürgermeister Joseph Reichert. Er gibt ohnehin die Macht übers Dorf ab. Zuerst über die närrischen Tage, bald für immer. »Ich freue mich nach 29 Jahren als Bürgermeister auf den Ruhestand«, so Reichert. Als die Narren 2007 ihren ersten Umzug veranstalten wollten, konnte er sich das im Ort schwer vorstellen. Angesichts des großen Andrangs und der guten Stimmung habe er schon auf dem Narrenwagen bei der Veranstaltung gefragt: »Nächstes Jahr wieder?« Bei seinem eigenen Umzug habe er sein Kostüm der örtlichen Zunft verloren. Deshalb musste er einmal ein neues kaufen. Ob das den nächsten Umzug an den Bodensee übersteht?
Mössingen
Oberbürgermeister Michael Bulander als Wickie, Baubürgermeister Martin Gönner als Musketier Aramis und Ordnungsamtsleiter Klaus Preisendanz als Winnetou – die Mössinger Rathausspitze war bestens auf den Narrensturm vorbereitet. Die Rathausmitarbeiter standen dem in nichts nach: Die Abteilung Baurecht kam geschlossen als Panzerknacker, die Abteilung Bürgerservice war komplett als die Schlümpfe unterwegs.
Dann kamen die Mössinger Narren: Der Original Steinlachtäler Fasnetverein, der kürzlich 30-jähriges Bestehen feierte, kam mit Steinlach-Hexen, Krebsfischern, Wendgoischd und den Heuberg-Zottlern samt Lumpenkapelle. Dazu waren der Narrenverein Mössingen (Andeck-Hexa und Erdmännle), der Narrenverein Dreifürstenstein mit seinen Hexen, die Filz-Hexa, sowie die Daalemer Deifl aus Talheim beim Narrensturm vertreten.
Auf dem Vorplatz des Rathauses forderte Ralf Brielmann, Zunftmeister des Original Steinlachtäler Fasnetvereins, von Oberbürgermeister Michael Bulander den Schlüssel zur Stadt: Angesichts der haarsträubenden Führung der Stadtverwaltung und um die Bürokratie aufzulösen, müssten nun die Narren ans Ruder. Brielmanns ärgste Spitze gegen den Rathauschef: »Der Zehnt des Grafen ist besser als eine Steuer von Bulander!«
In seiner Fasnets-Rede sang der OB ein Loblied auf die Rathaus-Mitarbeiter: »Das ganze Haus ist voller Helden.« Die meisten Lacher kassierte er mit Anspielungen auf die im Herbst gehackte Rathaus-Software, wonach die Stadt nun Briefe mit Tauben verschicke und von der Dachterrasse mit Rauchzeichen kommuniziere. Und: »Gut funktioniert der Datenschutz, denn es sind alle Daten futsch.«
Kirchentellinsfurt
Der Narrensturm in Kirchentellinsfurt war auch in diesem Jahr eine große Kinderfaschings-Party. Die Schüler der Graf-Eberhard Grundschule wurden wie immer von den Narren aus der Schule befreit und durften den Rathausplatz gemeinsam mit den Ranzenpuffern und den Mahdabach Bäbel regieren. Die Harmony Ferkel sorgten mit Schlagwerk und Blasinstrumenten für den passenden Sound. Zunftmeisterin Julika Früh und ihre Narren legten Bürgermeister Bernd Haug und Matthias Kessler, Rektor der Graf Eberhard Grundschule, fest in den Griff der Schandgeige. In einem Duell mussten die beiden gegeneinander antreten. Es galt die Schüler in Formation bringen. Insbesondere das Herz war eine Herausforderungen. Vom Rathausdach regnete es für diese Leistung Hände voller Bonbons. Eine Abschlusspolonaise beendete die Party für die etwa 200 Kids. Die Erwachsenen feierten im Rathaus mit Sekt und Krapfen weiter. Dieses Jahr galt es nicht nur die närrische Zeit zu feiern, sondern eine Unterschrift. Zunftmeisterin Früh schaffte es Bürgermeister Haug dazu zu überreden, in die Narrenzunft einzutreten. Eine Bitte hatten die Ranzenpuffer an das Gemeindeoberhaupt: eine Zunftstube soll her und zwar im Alten Bahnhof.
Nehren
In Nehren meisterten die Rammertwölfe zahlreiche spielerische Aufgaben im Rathaus. Die als Wikinger verkleidete Belegschaft hatte sich unter anderem ein »Wickie-Quiz« ausgedacht. Wie alt ist der kleine Wikinger in diesem Jahr denn geworden? Da war ebenso wie bei vielen weiteren Fragen Raten gefragt. Ausschließlich auf kleine Holzblöcke gestützt müssten sich die Nehrener Narren ein Wettrennen mit den Rathausbeschäftigten liefern und Bälle in kleine Becher an einer Pinnwand werfen. Und gegen Bürgermeister Egon Betz galt es, Tischtennisbälle mit einem Schwert in den Eimer zu befördern. »Jetzt kann ich wieder gehen«, sagte Betz, als er sich geschlagen gab und den Narren einen goldenen Rathausschlüssel übergab. Er komme gerade von einem längeren Urlaub in der Sonne zurück. Nun also schon wieder frei. Die Rammertwölfe formierten zu ihrer Freude eine kleine Pyramide im Sitzungssaal und bissen anschließend in Leberkäswecken zur Stärkung.
Kusterdingen
Die Lumpenkapelle Raba-Gautscher läutete in Kusterdingen traditionell den »Schmotziga« ein: Ihnen nach zogen die Riaba-Moschter und die Ruafabach-Hexa zum Rathaussturm auf den Hof bei Feuerwehr und Rathaus. Auch wenn die Riaba-Moschter Menschen-Pyramiden vorführten und die Ruafabach-Hexa Reisig verbrannten hielten die drei Gruppen der Kusterdinger Narrenzunft ihr Programm an diesem Donnerstag kurz.
Laut Zunftmeister Philipp Harbusch waren die Kusterdinger Narren in den letzten Wochen durchgehend unterwegs. Nach einer längeren Zwangspause wegen der Renovierung der Halle und Corona sei die eigene Saalfasnet im Januar dieses Jahres wie ein Neustart gewesen. Hauptsächlich hielten sich die Narren vor dem Rathaus jedoch wegen Adrian Kehl zurück: Der musikalische Leiter der Raba-Gautscher hatte vormittags seine Braut Katharina geheiratet – natürlich im Häs.
Gomaringen
Sommerliche Stimmung im Rathaus: Mit Sonnenbrille und Hawaiihemd ausgestattet, entspannte Bürgermeister Steffen Heß mit seinem Verwaltungsteam, zur Vorbereitung auf den Schlosshof-Beach. Doch dann stürmten die Schloshexa und die Käsperle mit Ratschengeklapper das Amt. Sie packten Heß und fesselten ihn an einen Liegestuhl. Petra Glausinger und Christoph Alznauer gaben zum besten, was im vergangenen Jahr nicht so gut in Gomaringen funktioniert hat, etwa die eisigen Duschen in der Sporthalle. Um den symbolischen Schlüssel zu ergattern mussten die Narrenzünfte in Spielen gegeneinander antreten. Vom Limbo-Tanzen bis zum Cocktailmixen bewiesen sie ihre Urlaubsqualitäten. Die Schlosshexa machten in diesem Jahr das Rennen. (GEA)