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Morden aus Freude? Mann aus Tübingen wegen versuchten Mordes vor Gericht

Ein Mann in Tübingen soll mit einem Messer losgezogen sein, um seine Tötungsfantasien auszuleben. Was treibt Menschen zum Morden aus reiner Freude?

Beginn Prozess wegen versuchten Mordes
Der Angeklagte kommt zu Beginn seines Prozesses wegen versuchten Mordes »aus Faszination« am Töten in den Gerichtsaal. Foto: Bernd Weißbrod
Der Angeklagte kommt zu Beginn seines Prozesses wegen versuchten Mordes »aus Faszination« am Töten in den Gerichtsaal.
Foto: Bernd Weißbrod

TÜBINGEN. An die Miene seines Gegenübers erinnert sich der Geschädigte gut. »Mit einem Lächeln im Gesicht« sei der andere Mann ihm entgegengetreten. Vor jener Nacht im September 2022 war er ihm nach seinen Angaben noch nie begegnet. Kurz darauf soll der bis dato Fremde laut Anklage drei Mal auf sein Opfer eingestochen haben. Seit Dienstag muss er sich vor dem Landgericht Tübingen wegen des Vorwurfs des versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung verantworten.

Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft klingen gruselig: Wochenlang vor der Tat soll der 25 Jahre alte Angeklagte eine »Faszination an der Tötung eines anderen Menschen« gehegt haben. In einer Nacht im vergangenen Herbst soll er in Tübingen mit Klappmesser losgezogen sein, um sie in die Tat umzusetzen. In der Stadt war an dem Wochenende Umbrisch-Provenzalischer Markt, eine Veranstaltung mit vielen Ständen und Besuchern. In einer Kneipe lernte er laut Staatsanwältin Mona Medic einen 42-Jährigen kennen. Er soll ihn nach dem Lokalbesuch verfolgt und ihn niedergestochen haben. Das Opfer erlitt zwei Stiche am Schulterblatt sowie eine blutende Bauchwunde. Letztere soll der Angeklagte als geeignet gehalten haben, um das Opfer zu töten. Hierüber habe der Angeklagte Freude empfunden und sei zufrieden davon gegangen, so Medic. Das Opfer wurde notoperiert.

Angeklagter zeigt sich ausdruckslos

Zum Prozessauftakt blieb die Miene des Angeklagten ausdruckslos. Mit streng nach hinten gegelten Haaren, Dutt und dünn getrimmtem Oberlippenbart verfolgte er die Verhandlung. Er selbst schwieg zu den Vorwürfen. Seit September sitzt er in Untersuchungshaft. Die Richter wollen nun die Hintergründe der Tat herausfinden. Auch ein rechtsmedizinischer und ein psychiatrischer Sachverständiger sollen dabei helfen.

Wenn Gewaltfantasien zu realen Taten werden, ist der Schock groß. Experten sprechen in solch einem Fall oft von »Mordlust«. Doch was bedeutet das? »Die Motive für solche Taten können sehr verschieden sein«, erklärte die Psychologin Karoline Roshdi. Oft gebe es den Wunsch zu sehen, wie jemand stirbt. Auch der Drang, Macht zu spüren oder die Herausforderung an sich könne eine Rolle spielen. Das sei von Mensch zu Mensch sehr individuell. Doch in fast jedem Fall spiele fehlende Empathie eine Rolle.

»Ein Abbau von Empathie kann schon in der Kindheit verankert sein«, erklärte Roshdi. Zum Beispiel, wenn man in seinen jungen Jahren viel Gewalt erfahren habe. Es gebe auch Hinweise auf eine genetische Komponente. Doch eine Diagnose »Mordlust« gebe es nicht. Das ließe sich psychologisch schwer fassen, sagte sie.

»Mordlust« sei ein subjektives Mordmerkmal, erklärte Rechtsanwalt Michael Haizmann. Definiert werde es als unnatürliche Freude an der Vernichtung des menschlichen Lebens. »Die Mordlust ist jedoch eher ein seltenes Mordmerkmal«, sagte er. Bei Prozessen mit entsprechendem Tatvorwurf sei ein psychiatrisches Gutachten wichtig.

Expertin über »Gefühle der Lebendigkeit«

Zum Beispiel stand im vergangenen Sommer ein damals 18-Jähriger in München vor Gericht, der wegen eines tödlichen Stichs auf seine 14 Jahre alte Freundin zu einer Jugendstrafe verurteilt worden war. Als Motiv nannte das Gericht echte Mordlust sowie niedrigere Beweggründe.

»Die Fantasie, zu töten, kann bei Menschen mit Mordlust Gefühle der Lebendigkeit hervorrufen«, erklärte die Expertin des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Manche würden einfach den Kick suchen. Für Menschen mit starken Gewaltfantasien und »Mordlust« sind laut baden-württembergischem Landesverband zum Beispiel Psychotherapeuten erste Anlaufstellen, um Hilfe zu bekommen.

Generell seien Gewaltfantasien nicht ungewöhnlich. Doch der Schritt, von der Idee zur Ausführung der Tat, ist laut Roshdi riesig. Von Natur aus hätten Menschen eine Hemmung zu töten. Bei Personen mit »Mordlust« könne diese Hemmung jedoch durch starke Gewaltfantasien langsam abgebaut werden, sagte die Expertin. (dpa)