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Kostenloser Nahververkehr im Land: Tübingen bleibt Platzhirsch

ÖPNV für umsonst - das klingt verlockend. Nicht verlockend genug. Trotz jahrelanger Debatte und mehrerer Modellversuche haben sich erst wenige baden-württembergische Städte dazu entschlossen, Busse und Bahnen freizugeben. Der Verkehrsminister weiß, woran das liegen könnte.

Ein Bus fährt über die Neckarbrücke in Tübingen.
Ein Bus fährt über die Neckarbrücke in Tübingen. Foto: dpa
Ein Bus fährt über die Neckarbrücke in Tübingen.
Foto: dpa

STUTTGART. Es wirkt ein wenig wie der Zeh, den man vorsichtig ins Wannenwasser hält, um die Temperatur zu testen. An zunächst nur einem Wochenende will Stuttgart Fahrten in seinen Bussen und Straßenbahnen im Stadtzentrum kostenlos anbieten. Ein Testlauf sei das, sagt City-Manager Sven Hahn. Ziel sei es vor allem, das Leben zurück in die Innenstadt zu bringen, damit Handel und Kultur genauso profitieren könnten wie die Gastronomie. Werde das Premieren-Wochenende zum Erfolg, sei der Weg frei für vier Wochenenden mit kostenlosem ÖPNV im Jahr.

Ein Modell auch für andere Kommunen auf dem Weg zu Gratisfahrten mit Bussen und Bahnen? Nicht unbedingt. Ein Blick ins Land zeigt, wie unterschiedlich sich Kommunen dem Versuch nähern, einen kostenlosen Nahverkehr anzubieten, um die Städte vom Autoverkehr zu entlasten oder den Handel zu unterstützen.

Platzhirsch bleibt TÜBINGEN. In der Neckarstadt müssen Stadtbewohner und Touristen seit 2018 keine Tickets mehr ziehen, wenn sie samstags die Buslinien nutzen wollen. Die Stadtwerke Tübingen (swt) sind zufrieden mit der Entwicklung: Die Zahl der Fahrgäste habe sich samstags von 30,1 Menschen pro Fahrt im Jahr vor der Aktion auf danach 34,7 und schließlich 38,5 Fahrgäste im Jahr 2019 erhöht, sagt swt-Sprecher Ulrich Schermaul. Für das vergangene Jahr liegen wegen der Pandemie keine vergleichbaren Zahlen vor.

Auch in ULM kann samstags gratis gefahren werden, das Angebot gilt aber nur noch bis Ende des Jahres. Denn der ticketfreie Samstag sollte seit April 2019 für Großbaustellen und den Wegfall von Tiefgaragenplätzen entschädigen und den Handel unterstützen. »Der kostenlose Nahverkehr sollte als Signal verstanden werden, dass die Ulmer Innenstadt erreichbar bleibt«, sagt eine Sprecherin der Stadt. Pro Jahr sei knapp eine Million Euro an den Nahverkehrsverbund DING überwiesen worden. Der Gemeinderat hatte im Sommer gegen eine Fortsetzung des Modells gestimmt. Schließlich werde bald die Tiefgarage eröffnet, argumentierten die Gegner des Freifahrens.

In WALLDORF (Rhein-Neckar-Kreis), Sitz des lukrativen Gewerbesteuerzahlers SAP, will man ab dem kommenden Jahr den nächsten Schritt gehen: »Einfach einsteigen« heißt es dort ab dem 1. Januar. Als erste Stadt im Südwesten führt die Kommune das kostenlose Busfahren ein, nachdem es für Walldorfer schon seit 2013 möglich gewesen war, zum halben Preis zu fahren. Man erwarte sich eine »deutliche Reduzierung der Autofahrten von und zur Stadtmitte, zum Bahnhof, zum Industriegebiet und zum Sport- und Freizeitzentrum sowie bei den sogenannten Elterntaxen«, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende im Walldorfer Gemeinderat, Manfred Zuber. Die Stadt wird die ausfallenden Einnahmen des Verkehrsverbunds Rhein-Neckar in Höhe von jährlich 53.000 Euro ausgleichen. Nach zwei Jahren soll geprüft werden, wie sich die Fahrgastzahlen entwickelt haben.

Eine Ausnahme, meint Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Öffentliche Verkehrsmittel dauerhaft kostenlos anzubieten, erfordere erheblich mehr Zuschüsse als ein ticketfreies Wochenende. »Schon heute ist jedes Ticket etwa zur Hälfte von der öffentlichen Hand gefördert«, sagt Hermann. »Das heißt die Aufgabenträger Land, Verkehrsverbünde oder Kommunen müssten die Mittel zur Kostendeckung mindestens verdoppeln.«

An bestimmten Tagen wie zum Beispiel an einem langen Samstag, einem verkaufsoffenen Sonntag oder als Werbemaßnahme fürs Um- und Einsteigen in den öffentlichen Nahverkehr kann er sich kostenlose Angebote dagegen als »eine gute Sache« vorstellen. »So können Menschen, die den ÖPNV bisher nicht nutzen, die Alternativen zum Autofahren kennenlernen«, meint er.

Städte wie KARLSRUHE und auch HEILBRONN halten sich daher auch streng zurück und verweisen auf besondere Preismodelle und Angebote, mit denen Abonnenten überzeugt oder gehalten werden sollen. In der Fächerstadt und in Heilbronn fiel die »Barriere Fahrpreis« 2019 zumindest an den Adventssamstagen, um den Verkehr zu entlasten. Zum Vorgehen in der kommenden Adventszeit gibt es noch keine Entscheidung der HNV (Heilbronner-Hohenloher-Haller-Nahverkehr GmbH), sagt eine Heilbronner Stadtsprecherin.

Als frühere Modellstädte des Bundes gehen auch MANNHEIM, REUTLINGEN und HERRENBERG andere Wege. Mit einer millionenschweren Förderung durch den Bund standen dort unter anderem reduzierte Jobtickets und Digitaltarife, Lkw-Durchfahrtsverbote und Tempolimits, ein neuer Citybus oder subventionierte Einzel- und Monatstickets im Stadtgebiet hoch im Kurs.

In STUTTGART scheint auch eine Fortsetzung der Gratis-Wochenenden möglich. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) habe sich offen dafür gezeigt, sagt City-Manager Hahn. Details zur Aktion will er gemeinsam mit dem Geschäftsführer des Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart, Horst Stammler, am Montag (11.00 Uhr) vorstellen. (dpa)