KIRCHENTELLINSFURT. Der Kormoran ist ein beeindruckender Vogel und großer Jäger. Er lebt in Kolonien auf hohen Bäumen an Gewässern. Geht er auf Jagd, stürzt er sich in Flüsse und Seen und taucht bis zu drei Meter tief. Anschließend breitet er seine Flügel aus, um sein Gefieder zu trocken. Jeder Vogel verzehrt am Tag bis zu 500 Gramm Fisch. Das sei viele Jahre kein Problem gewesen, sagt Christian Becker, Vorsitzender des Reutlinger Fischereivereins. Jetzt habe sich der Vogel allerdings am Kirchentellinsfurter Baggersee so ausgebreitet, dass er den Fischbestand bedrohe. Bis zu 120 Vögel haben die Fischer auf den Bäumen am See gezählt. Vor fünf bis sechs Jahren seien es noch drei bis vier Kormorane gewesen.
Klimaerwärmung ein Grund für Ausbreitung am Baggersee
Einer der Gründe, weshalb sich der Vogel in Kirchentellinsfurt ausgebreitet hat, ist die Klimaerwärmung. »Der See friert nicht mehr zu«, erzählt Becker. Deshalb sei er mittlerweile ein optimales Jagdrevier für den Vogel. Die Fischer versuchen einiges, um den Kormoran am Jagen zu hindern. Sie haben Holzverhaue in den See eingebracht. Äste und Stämme im Uferbereich schaffen natürliche Versteckmöglichkeiten. Insektenlarven und kleine Fische tummeln sich dort. Es ist eine wichtige Kinderstube für den Fischbestand im See. Das Gewässer sei ziemlich aufgeräumt gewesen, als es der Verein übernommen habe, erzählt Becker. Die Fischer wollen das nach und nach verändern. Sie haben deshalb auch eine entsprechende Zone mit Bojen vom normalen Bade- und Bootsfahrbetrieb abgetrennt.

Die Holzverhaue sind zwar auch für den Kormoran Jagdhindernisse, aber das reiche bei Weitem nicht aus, sagen Becker und Gerd Schwarz. Schließlich erbeuten die Vögel bis zu 60 Kilogramm Fisch am Tag, darunter vor allem die jugendlichen Tiere. »Die Mittelschicht schrumpft«, erklärt Becker. Im See seien mittlerweile entweder ganz große oder ganz kleine Fische. Alles, was dazwischen liegt, fresse der Vogel. Dabei sind genau diese Tiere die wichtigsten Fortpflanzungsfische. Auch viele Fische mit Bisswunden haben die Fischer gesehen. Und das Karpfensterben in diesem Frühjahr führen sie auf Stress der bejagten Tiere zurück.
Der Verein setzt jedes Jahr Fische zu. Allein bei den kleinen Fischen wie Rotfeder und Rotauge sind es 1.500 Kilogramm. »Würden wir nicht besetzen, würde es um den See sehr sehr schlecht stehen«, sagt Becker. Viel Geld und viel Arbeit hat der Verein schon in den See investiert. Jetzt sehen sie sich um ihre Mühen gebracht. »Im Moment wissen wir nicht, wie wir mit dem Problem umgehen können«, sagen die beiden Fischer. Der Vogel habe am Baggersee mittlerweile komplett die Scheu verloren. Hoffnung, dass sich ein Gleichgewicht zwischen Jäger und Beute einpendeln könnte, haben sie nicht. »Erst wenn keine Fische mehr drin sind, dann zieht er weiter.« Am liebsten wäre es den Vereinsmitgliedern, der Vogel könnte am See gejagt werden. Vergrämen sei schließlich nur eine Verlagerung des Problems. Sicher ist für den Vereinsvorsitzenden jedenfalls: »Wir allein werden das Problem nicht lösen können.«
Kormoran steht unter Schutz
So einfach ist das mit der Jagd allerdings nicht. Denn der Kormoran steht unter Schutz. Er war schon mal vom Aussterben bedroht, weil er zu sehr bejagt wurde. Jetzt breitet er sich wieder aus. Aktuell leben in Deutschland rund 24.000 Tiere, circa 1.800 sind es in Baden-Württemberg, so Carsten Wagner vom Regierungspräsidium Tübingen. Wagner schätzt die Lage in Kirchentellinsfurt anders als der Verein ein: Der Vogel bedrohe keineswegs den Fischbestand am Baggersee. »Da der Kormoran seine Nahrung in ein bis drei Metern Wassertiefe erbeutet, wird er nie den gesamten Bestand dezimieren.« Der Vogel ziehe dann weiter, wenn so wenige Fische im See sind, dass der Aufwand sie zu jagen »den Kormoran mehr Energie kostet als das Jagdglück ihm energetisch einbringt«.
Als Maßnahmen, um den Fischbestand dauerhaft zu stabilisieren, empfiehlt Wagner, das Gewässer zu renaturieren. Fisch zuzusetzen sei keine nachhaltige Lösung.
Beim Baggersee handle es sich um ein aufgestautes Gewässer »mit verbauten und gleichförmigen Ufern mit häufig fehlender Deckung«. Im Sommer werden dort hohe Temperaturen erreicht, verbunden mit einem geringen Sauerstoffgehalt. Der Kormoran jage dort, wo es für ihn am leichtesten ist.
An der Renaturierung arbeiten die Fischer bereits. Ziel sei, dass sich der See »sauber reproduziere«. In der Echaz ist das schon der Fall, erzählt Becker. Dass das allerdings am Baggersee funktionieren kann, solange der Kormoran dort jagt, können sich die Fischer überhaupt nicht vorstellen. (GEA)