TÜBINGEN. Die Sache mit dem Müll geht am Montag einmal mehr vor den Tübinger Verwaltungsausschuss: Die Stadtverwaltung schlägt vor, die bislang kommunale Müllabfuhr, die sich um die Entsorgung von Rest- und Biomüll kümmert, aus dem städtischen Betrieb auszugliedern und so faktisch zu privatisieren. Um das klaffende 40-Millionen-Euro-Haushaltsloch zu stopfen, würde diese Maßnahme das Defizit um geschätzte 600.000 Euro jährlich verringern. Auf der anderen Seite würde damit ein Betrieb ausgegliedert, der sowohl die Mitarbeiter anständig nach Tarif bezahlt als auch - so die Einschätzung vieler Tübinger Bürger - einen tadellosen Job macht. Mithilfe eines unabhängigen Rechtsgutachtens, das die Stadtverwaltung in Auftrag gegeben hatte, wurden nun die Möglichkeiten analysiert, um die Kosten auf Dauer zu decken.
Denn eine Lösung für das Problem ist knifflig. Eigentlich ist die Müllentsorgung Aufgabe des Landkreises, der häufig private Unternehmen damit beauftragt. In Tübingen hat die Kommune als Träger die Abfuhr übernommen. Doch der Vertrag, der das Verhältnis zwischen Kreis und Stadt regelt, enthält eine sogenannte Preisgleitklausel, die ursprünglich dazu gedacht war, die Kostensteigerungen über die Jahre aufzufangen. In der Praxis funktioniert das nur nicht. Stattdessen wird das Defizit, das die Kommunalen Servicebetriebe Tübingen (KST) erwirtschaften, immer größer. Das geschieht auch durch steigende Personalkosten, steuergesetzliche Änderungen und rechtliche Probleme. Einen neuen Vertrag können Landkreis und Kommune nämlich nicht einfach so aushandeln - nach geltendem Recht müsste mittlerweile eine europaweite Ausschreibung für die potenziellen Dienstleister erfolgen. Deshalb ist eine Anpassung des gegenwärtigen Vertrags, um die Kosten zu decken, rechtlich nicht drin. Auch höhere Gebühren darf die Stadt nicht verlangen, weil die Oberhoheit beim Landkreis liegt.
Die Qual der Wahl
Der Gemeinderat steht also nun vor der Wahl: Entweder, man lässt den für die Stadt mittlerweile unvorteilhaften Vertrag weiterlaufen und erfreut sich am reibungslosen Service, oder man kündigt ihn auf und gibt damit die Müllentsorgung in die Hand eines externen Unternehmens - was deutlich billiger wäre, aber vermutlich nicht so sauber und ordentlich abläuft, wie es die Stadt bislang gewohnt ist. Für das Personal gäbe es eine Lösung: Für die 20 Mitarbeiter der städtischen Müllabfuhr, bei denen viele kurz vor der Rente stehen, könne innerhalb der anderen Abteilungen der KST Stellen gefunden werden, beispielsweise beim Fuhrpark, der Straßenunterhaltung oder der Stadtentwässerung.
Doch die KST stehen dem Vorschlag »sehr kritisch« gegenüber, wie einer Stellungnahme des Personalrats zu entnehmen ist. »Die Personalvertretung ist strikt gegen die Pläne der Stadtverwaltung«, schreiben die Verantwortlichen. Insbesondere die funktionierende Daseinsvorsorge als soziale Verantwortung der Kommunen, das saubere Stadtbild, das vielen Touristen in Erinnerung bleibe und arbeitsgerechte Entlohnung sollten Tübingen ein Anliegen sein, diese Arbeit in Eigenverantwortung zu erledigen. Eine Möglichkeit sei es, der Stadt die Entsorgungspflicht zu übertragen, was allerdings bereits 2009 verworfen und »nicht näher erläutert« wurde. Der Personalrat vermisse die aktiven Verhandlungen mit dem Landkreis.
Proteste gegen die Privatisierung
Das Thema der Privatisierung der Müllabfuhr in Tübingen hat schon in der Vergangenheit für Proteste gesorgt. Denn was Service und Zuverlässigkeit angeht, genießen die KST bei den Bürgern ein hohes Ansehen. Im Sommer 2023 hatten intensive Verhandlungen im Gemeinderat dazu geführt, dass SPD, Tübinger Liste, CDU, Linke und die Fraktion ihre Ratskollegen der AL/Grüne und FPD überstimmten und so die Müllabfuhr »bis auf Weiteres« in städtischer Hand verblieb. (pru)
Wie das Rechtsgutachten nun offenbart, ist eine weitere Möglichkeit - nämlich, dass der Landkreis vergaberechtsfrei im eigenen Haus ein Unternehmen gründet und dieses mit der Müllbeseitigung beauftragt - wenig lukrativ. Zwar könnten die Arbeitnehmer, die bislang bei den KST zuständig sind, in das neue Unternehmen übertragen werden. Doch für die Kostendeckung müssten Gebühren erhoben werden, die über 70 Prozent höher lägen als im restlichen Landkreis - eine deutliche und schwer zu vermittelnde Mehrbelastung der Tübinger Bürger. Auch würde es Jahre dauern, bis besagtes Unternehmen die Arbeit aufnehmen könnte, während die Stadt weiterhin auf dem alten Vertrag sitzt und die Kosten nicht decken kann.
Maßnahme in die Sparliste aufgenommen
Doch damit nicht genug: So langsam kommen die Fahrzeuge der KST in die Jahre. Bereits 2023 rechnete die Stadtverwaltung mit einem Investitionsvolumen für neue Müllautos in Höhe von 3,5 bis 4 Millionen Euro, zusätzlich zu einem neuen Standort, der damals noch nicht beziffert werden konnte. Der unsicheren Planungssituation geschuldet, sind die modernen Fahrzeuge teilweise teuer angemietet. Sollte die Müllabfuhr also weiter in städtischer Hand bleiben, kämen im Bereich der Müllentsorgung Millioneninvestitionen auf Tübingen zu.
Alle Punkte zusammengenommen, geht die Stadtverwaltung nicht davon aus, dass die Müllabfuhr gegenwärtig und in naher Zukunft kostendeckend arbeiten kann - weshalb der Vorschlag, die Abfuhr vom Landkreis an ein externes Unternehmen vergeben zu lassen, in die bislang 243 Punkte umfassende Vorschlagsliste der Tübinger Haushaltskonsolidierung aufgenommen wurde. Voraussichtlich Ende Januar stimmt der Gemeinderat über die Maßnahmen auf dieser Liste ab, die im Falle eines Beschlusses alle umgesetzt werden würden. Damit würde der gegenwärtige Vertrag am 31. Dezember 2026 auslaufen und die Entsorgung ein bislang noch unbekanntes Unternehmen übernehmen. (GEA)