TÜBINGEN. Jetzt geht's in die Vollen: Der Tübinger Gemeinderat will am 30. Januar den diesjährigen Haushalt beschließen. Der präsentiert sich derweil als ein rund 40-Millionen-Euro-Ungetüm, das nur mit dem rigorosen Einsatz des Rotstiftes gebändigt werden kann. Doch wo genau gespart werden soll, da sind die Ratsmitglieder uneins. Dem Vorschlag einiger listiger Köpfe, testweise einen nicht beschlussfähigen Haushalt zu erlassen, um den möglichen Spielraum beim Sparen auszuloten, erteilte Oberbürgermeister Boris Palmer eine klare Absage: »Da steht unsere Rechtsordnung entgegen.«
Dass das Streichen wehtut, daran ließ keine Fraktion irgendwelche Zweifel. Fast alle Parteien machten in ihren Haushaltsreden auch die Schuldigen für die finanzielle Schieflage ausfindig. Billiges Gas aus Russland, an der Verteidigung sparen, China als Absatzmarkt: »Das deutsche Erfolgsmodell funktioniert nicht mehr«, erklärte Annette Schmidt von der sitzstärksten Fraktion AL/Grüne. Dazu habe die Stadt im Vergleich zu 2023 17 Millionen Euro mehr für Personal ausgegeben, 10 Millionen Euro mehr für Strom, Heizung und Dienstleistungen, dazu noch rund 20 Millionen Euro mehr Kreisumlage. »Das erklärt die Differenz im diesjährigen Haushalt«, so Schmidt.
Handlungsfähig bleiben
Bund und Land hätten neue Aufgaben delegiert und die Kommunen auf den Kosten sitzengelassen. Fehlentscheidungen des Gemeinderats in der jüngeren Vergangenheit sehe sie nicht. »Wir haben bei niedrigen Zinsen in die Stadt investiert.« Ziel müsse es jetzt sein, die Handlungsfähigkeit zu bewahren: Sollte das Regierungspräsidium die Finanzplanung an sich reißen, »wäre das Zimmertheater morgen schon zu«, prophezeite Schmidt.
Einige Spar-Vorschläge der Verwaltung seien für die AL/Grünen allerdings nicht tragbar. Bezüglich der geplanten Streichungen von Stellen bei der Schulsozialarbeit könne sich Schmidt »kein Konzept der Welt vorstellen«, das diese Jobs entbehrlich mache. In anderen Bereichen seien Minderausgaben in Ordnung: So könne beispielsweise die Versicherung des Jobrads wegfallen, das Stadtschreiber-Stipendium erst 2027 erneut ausgeschrieben oder einer der drei Häckselplätze geschlossen werden.
Rabattierung ein »unnötiges Geschenk«
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Florian Zarnetta lobte die frühzeitige Einbindung des Gemeinderats in die Haushaltskonsolidierung, bemängelte aber zugleich die »unverständliche Informationspolitik« der Stadtverwaltung. Entscheidende Infos hätten gefehlt, um mit sicheren Zahlen zu arbeiten. Aus Verantwortung der Stadtgesellschaft gegenüber dürfe man nicht einfach einen »Kahlschlag« bei den Freiwilligkeitsleistungen der Stadt vollziehen - also den Leistungen, die nicht zwingend erbracht werden müssen. »Die machen Tübingen doch erst lebenswert«, gab Zarnetta zu bedenken. Dazu gehört nahezu das gesamte kulturelle Angebot, daneben beispielsweise auch die mobile Jugendarbeit, die nicht komplett gekürzt werden solle. »Dann wird es an anderer Stelle später teurer«, argumentierte der SPD-Gemeinderat. Der ticketfreie Samstag sei zwar ein tolles Angebot, aber bei der »Dramatik der Haushaltssituation nicht mehr vertretbar.«
Die neuen Stellen, die aufgrund der »Problemstellungen unserer Gesellschaft« entstanden sind, seien für den Haushalt besonders belastend, sagte Thomas Unger von der Tübinger Liste. »Die gehören in diesem Ausmaß nicht zu den Pflichtaufgaben der Stadt.« Tübingen sei in der Vergangenheit vom finanziellen Verfall »wundersam« verschont geblieben. Eine etwaige Erhöhung der Steuern und Gebühren wertete Unger als glatten Wortbruch der Verwaltung: »Sie hatten versprochen, aufkommensneutral zu bleiben«, sagte Unger mit Bezug auf die Grundsteuer. Beim Haushalt komme man nicht ohne Ausgabenkürzungen weiter und brauche eine Besinnung auf die absoluten Pflichtaufgaben. Die Rabattierung des Deutschland-Tickets für Tübinger Bürger sieht Unger als »unnötiges Geschenk«, das aus ideologischen Gründen beschlossen worden sei.
CDU stellt keine Anträge
Die CDU wolle ganz auf Änderungsanträge verzichten. »Das halten wir sonst nicht für verantwortbar«, erklärte Julia Mayer. Es könne nur ausgegeben werden, was eingenommen werde - so würde der Bürger im Privaten auch wirtschaften. Kürzungen seien natürlich nicht einfach, aber nur konsequent. Bei der Rabattierung des Deutschland-Tickets werde per »Gießkannenprinzip« Geld an Leute verschenkt, die es gar nicht nötig hätten. »Bei gleichzeitiger Verschlechterung des ÖPNV.« Die Ortsbeiräte sollen bleiben. »Die sind für die Teilorte zentrale Anlaufstellen«, so Mayer. Bezüglich der Kürzungen für Vereine und das Ehrenamt könne die CDU-Fraktion nicht immer mitgehen. »Da geht es um den wesentlichen Kitt unserer Gesellschaft«, sagte die Rätin.
Die Linke, die nahezu alle Vorschläge der Verwaltung in der gegenwärtigen Form ablehnt, sprach von einer »Giftliste der sozialen Ungerechtigkeit«. Man dürfe nicht etwa die höheren Löhne als Schuldige an der Misere des Haushalts ausmachen, wie Gerlinde Strasdeit sagte. Und schon gar nicht am Sozialen sparen. »Das sind keine überflüssigen Luxusartikel, sondern notwendige Investitionen«, so die Linken-Rätin mit Blick auf Schulsozialarbeit und Integration. »Da bleiben wir dran. Besser dafür Geld ausgeben als später für Gefängnisse und Psychiatrien.« Eine Möglichkeit für Mehreinnahmen sei es, die Gewerbesteuer von 390 auf 430 Punkte anzuheben.
Kleines Liedchen geschmettert
Die FDP sieht eine »Fehlentwicklung im Haushalt, die Gemeinderat und Oberbürgermeister zu verantworten haben«, sagte Anne Kreim. Zu langsam habe sich die Kommune auf die neue Buchführung umgestellt, auch vermisse Kreim eine »klare strategische Auslegung« der städtischen Tochterunternehmen. »Wir legen viel Wert darauf, dass die Kitas und Schulen gut versorgt bleiben.«
Abstriche beim Klimaschutz werde die Klimaliste nicht unterstützen, betonte Matthias Feurer. Das lohne sich zudem rechnerisch: »So werden Folgekosten vermieden.« Bereits jetzt koste Extremwetter Milliardenbeträge. Daher forderte Feurer mehr Begrünung und mehr Sickerflächen. »Wir müssen uns in Tübingen darauf vorbereiten, was auf uns zukommt.« Und die Fraktion? Die liebt die Müllabfuhr - wie Markus Vogt bei einer Gesangseinlage unter Beweis stellte: »Müllabfuhr, wir brauchen dich, die Sonne scheint nicht ohne dich.« Sie sei zuverlässig und sicher - im Gegensatz zum Entsorger Alba, der die Gelben Säcke abhole. »Da sollte man für jedes liegengebliebene Plastikstück 50 Cent Verpackungssteuer erheben«, so Vogts vielleicht nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag. (GEA)