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Illegale Absprachen vor Gericht: Studie der Uni Tübingen beleuchtet Rolle von Schöffen

Schöffen werden auch im Schwurgericht eingesetzt. Hier ein Blick in den Schwurgerichtssaal im Tübinger Landgericht. FOTO: RITTGE
Schöffen werden auch im Schwurgericht eingesetzt. Hier ein Blick in den Schwurgerichtssaal im Tübinger Landgericht. FOTO: RITTGEROTH
Schöffen werden auch im Schwurgericht eingesetzt. Hier ein Blick in den Schwurgerichtssaal im Tübinger Landgericht. FOTO: RITTGEROTH

TÜBINGEN. Schöffinnen und Schöffen werden bei Absprachen in Strafverfahren entgegen den gesetzlichen Vorschriften häufig nicht einbezogen oder sind an Absprachen beteiligt, die illegal sind. Zu diesem Ergebnis kommt die bislang größte Umfrage unter Laienrichterinnen und -richtern in Deutschland. Dessen ungeachtet hält eine Mehrheit der Schöffinnen und Schöffen ihr Amt jedoch generell für wichtig und wäre bereit, es nochmals anzutreten.

Für die Studie werteten Jörg Kinzig und Benedikt Iberl vom Institut für Kriminologie der Uni Tübingen fast 9 000 Online-Fragebögen aus allen Bundesländern aus. Die Forscher erreichten damit 15 Prozent aller Schöffinnen und Schöffen in Deutschland. »Von der positiven Einschätzung des eigenen Amtes waren wir durchaus überrascht. Dass die Praxis informeller und damit illegaler Absprachen nach wie vor verbreitet ist, stand dagegen leider zu erwarten«, so Jörg Kinzig. »Die Antworten der Schöffen zeigen diesen Missstand erneut auf.« Die Studie ist im Nomos-Verlag erschienen.

Nicht einbezogen von den Profis

Nur ein Fünftel der Absprachen wird wie vom Gesetz vorgesehen öffentlich im Rahmen der Hauptverhandlung getroffen. In 14 Prozent der Fälle werden die beisitzenden Laienrichterinnen und -richter – obwohl sie sich vor Ort befinden – von den Berufsjuristen gar nicht erst eingebunden. Zwei Drittel der Schöffinnen und Schöffen berichten außerdem von Inhalten bei Absprachen, die illegal sind. Dazu gehören etwa Vereinbarungen über den Schuldspruch, also darüber, wie ein Verhalten, zum Beispiel ein Diebstahl oder eine Körperverletzung, strafrechtlich genau zu bewerten ist. »Ehrenamtliche Richterinnen und Richter wissen dabei oft nicht genau, was bei einer Absprache erlaubt ist und was nicht. Die Laien werden offenbar nur ungenügend auf Absprachen vorbereitet, obwohl sie daran auf Augenhöhe mitwirken sollen«, sagt Benedikt Iberl.

Um Verfahrenszeiten zu verkürzen, sind Verständigungen zwischen dem Gericht, der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft im Gesetz durchaus vorgesehen und erlaubt – jedoch nur unter streng geregelten Bedingungen. So muss die Absprache öffentlich im Rahmen der Hauptverhandlung und mit Beteiligung der Schöffinnen und Schöffen getroffen werden. Ein häufiger und zulässiger Fall ist die Einigung auf eine Ober- und Untergrenze der Strafe oder das Einstellen weiterer Verfahren im Gegenzug zu einem Geständnis. Nicht erlaubt ist es jedoch, bei einer Verständigung eine ganz konkrete Strafhöhe zu vereinbaren oder festzulegen, dass ein Angeklagter nicht im normalen Strafvollzug, sondern in der Psychiatrie oder einer Entziehungsanstalt untergebracht wird.

Ist Laienbeteiligung noch zeitgemäß?

In der Strafrechtswissenschaft wird in diesem Zusammenhang bereits seit Langem darüber diskutiert, ob eine Laienbeteiligung angesichts komplexer werdender Strafverfahren noch zeitgemäß ist und ob die umstrittene Praxis der Verständigung die Rolle der Laien im Gerichtsverfahren mehr und mehr aushöhlt.

Die Schöffinnen und Schöffen wurden im Rahmen der Studie auch zur allgemeinen Einschätzung ihres Amts befragt. Die meisten Laienrichterinnen und -richter fühlen sich von ihren hauptberuflichen Kolleginnen und Kollegen ernst genommen. Sie halten sich für ausreichend kompetent und die meisten Urteile für angemessen – was in einem gewissen Kontrast zur Einschätzung der allgemeinen Bevölkerung steht, die Urteile der deutschen Strafjustiz tendenziell als »zu milde« betrachtet, speziell im Fall jugendlicher Straftäterinnen und Straftäter. Zwei Drittel der Schöffinnen und Schöffen sind der Überzeugung, dass sie Einfluss auf die Urteilsfindung haben. Mehr als 80 Prozent würden ihr Amt noch einmal antreten.

Wunsch nach mehr Vorbereitung

Die Befragten brachten auch Verbesserungsvorschläge ein. So wünschen sich viele intensivere Vorbereitungskurse vor Amtsantritt und eine Akteneinsicht im laufenden Verfahren. Auch wurden eine umfassende Entbürokratisierung und Digitalisierung in der Justiz gefordert. Im Laufe des Jahres 2023 finden die Wahlen der Schöffinnen und Schöffen für die nächste Amtsperiode statt. Sie beginnt am 1. Januar 2024 und dauert fünf Jahre.

Ein Schöffenwahlausschuss an Amtsgerichten wählt die Laienrichterinnen und -richter für Amts- und Landgerichte. Die Schöffinnen und Schöffen sind sichtbarer Ausdruck einer Rechtsprechung »im Namen des Volkes« und haben bei Urteilen gleiches Stimmrecht wie die Berufsrichterinnen und -richter. 80 Prozent der in der Studie befragten Schöffinnen und Schöffen haben sich auf eigene Initiative beworben. Die anderen wurden von Organisationen wie Parteien oder Gewerkschaften vorgeschlagen und – womöglich sogar widerwillig – von den Schöffenwahlausschüssen berufen. (pm)