TÜBINGEN. Der angekündigte Specialeffect zur Eröffnung der Tübinger Radbrücke West zog gewaltig in die Nase. Dicker blau-roter Rauch quoll über den blauen Radweg. Aus den Wolken tauchte ein jubelnder Oberbürgermeister Boris Palmer auf, an seiner Seite ein fröhlich lachender Regierungspräsident Klaus Tappeser. Dahinter Hunderte Tübinger Radfahrer, die zum Brückenfest am Mittwochnachmittag in den Anlagenpark kamen.
Mit einem derartigen Andrang hatte Palmer nicht gerechnet. Eigentlich sei er davon ausgegangen, dass die Eröffnung eine reine Angelegenheit unter Honoratiorenversammlung sei, sagte der OB. Aber: »Radfahren ist hier Breitensport.«
»Radfahren ist hier Breitensport - Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer«
Wie sehr die Radfahrer auf diesen Moment gewartet hatten, ließ sich anhand der schieren Anzahl Radler nur erahnen. Aufgereiht füllten sie die Brücke auf ihrer gesamten Länge von 365 Meter aus. Und für einen Nachmittag war es in der Unistadt wie in Kopenhagen. Dort gehören Fahrradstaus zur Tagesordnung.
Ein Brückenschlag zwischen der Altstadt und dem Behördenviertel ist in Tübingen keine neue Idee. Vor 40 Jahren hatte sich der Gemeinderat schon damit befasst. AL, SPD, FDP und Linke lehnten sie damals ab. Nur die CDU hielt an dem Plan fest, erinnerte Palmer.
Die Idee zur Radfahrverbindung quer über Bahngleise und B 28 wurde wieder neu aufgelegt, als Palmer 2016 zusammen mit Teilen des Gemeinderates die dänische Hauptstadt besuchten. Radfahrbrücken gehören dort ganz selbstverständlich zum Stadtbild. Die Tübinger kamen zurück mit einem klaren Plan: »Wir brauchen auch solche Radbrücken.« Ein Jahr später legte die Bundesregierung ein Förderprogramm für den Radverkehr auf und der OB reagierte sofort. In einer Eilentscheidung habe er die Mittel über 150.000 Euro für die Vorplanung bewilligt, erzählte Palmer bei der Eröffnungsrede. Tübingen habe den Zuschlag bekommen. Begründet hat er die Brücke mit den vier Hindernissen, die in Tübingen der Verkehr nehmen müsse: der Höhenzug, der Neckar, die Eisenbahn und die B 28. »Jeder, der von Nord nach Süden fahren will, strandete bisher irgendwo.«
Die Argumente haben überzeugt: Insgesamt 7,3 Millionen Euro kamen vom Bund, das Land legte weitere vier Millionen drauf. Die Stadt musste 4,5 Millionen Euro finanzieren. »Ich würde es heute genauso wiedermachen«, sagte Palmer. Man müsse für die Infrastruktur sorgen. Außerdem werde mit der Brücke die umweltfreundlichste und billigste Fortbewegungsart gefördert. Auch im Unterhalt werde die Brücke sehr günstig sein, sagte der OB. »Wir gehen von einer Standzeit von hundert Jahren aus.« Auch einen Namen hat sich Palmer ausgedacht: Ann Arbor Bridge, nach der Tübinger Partnergemeinde in Michigan.
Eine »tolle, elegante Brücke«, sei es, sagte Regierungspräsident Tappeser gestern beim Eröffnungsfest. »Die Urbanität von Tübingen gewinnt dadurch.« Jetzt müsse sie auch genutzt werden. »Es wäre wirklich blöd, wenn nichts darauf los ist.«
Gestern Nachmittag konnte davon keine Rede sein. Radfahrer aller Altersstufen mit und ohne Anhänger machten sich auf, die neue Radbrücke zu erobern. Einmal oben angekommen, eröffnen sich ungewohnte weite Blicke über die Bahngleise bis zum Schloss Richtung Altstadt.
Als erstes aber verbindet die Radbrücke die Altstadt mit dem Behördenvierteln. Vom Rathaus zum Landratsamt und Regierungspräsidium ist es nun per Rad nur noch ein Katzensprung. (GEA)
Zehn Meter Höhe, sechs Prozent Steigung
Die Radbrücke West zwischen Altstadt und Behördenviertel überwindet einen Höhenunterschied von 10 Metern mit maximal sechs Prozent Steigung. Um das zu erreichen, wurde eine die Länge von 365 Meter benötigt. Deshalb schlängelt sich die Brücke über die Bahngleise. Gleichzeitig soll dieser Grundriss die Radfahrer abbremsen. 500 Tonnen Stahl wurden verbaut. Im Winter ist die Brücke beheizt, sodass nicht gestreut werden muss. Gekostet hat sie 16 Millionen Euro. (iwa)