GOMARINGEN. Als »Entlastung« und »moderne Form der Nachbarschaftshilfe« bezeichnete Gomaringens Bürgermeister Steffen Heß das neue Projekt, das nun auch in der Wiesaz-Gemeinde Fuß fassen soll: Der »Zeittausch« kommt. Bei einer Präsentation im gut gefüllten Bürgersaal des Schlosses haben Regina Stiehle-Braun und ihr Team aus ehrenamtlichen Helfern die interessierte Einwohnerschaft am Mittwochabend umfassend und gründlich über die Internet-Plattform informiert. Stiehle-Braun hat seit vergangenem Sommer die neu geschaffene Gemeinwesenstelle der Gemeinde inne und ist vornehmlich mit der Umsetzung des Projekts betraut.
»Zeittausch« - es steckt schon ein wenig im Namen - ist eine Tauschbörse. Dort sollen kleine Hilfen des Alltags angeboten werden: Hilfe beim Transportieren eines Schranks, Pflanzengießen oder Rasenmähen. Dabei geht es aber nicht um den schnöden Waren- oder Dienstleistungstausch gegen Geld wie auf Ebay, sondern es wird mit der Währung Zeit gehandelt - aufgeteilt in wohl portionierte 10-Minuten-Einheiten, genannt Talente. Zeit, die man für andere investiert, kann man dann in Form dieser Talente wieder für Hilfe ausgeben, die man selbst in Anspruch nehmen möchte.
Zeittausch in Zahlen
Bislang sind rund 450 Menschen bei den Zeittausch-Ringen der fünf Kommunen angemeldet, wovon zwischen 150 bis 200 Personen regelmäßig aktiv sind. Um die Börse nutzen zu können, muss man sich anmelden: Entweder als Einzelperson, dann kostet die Teilnahme 15 Euro im Jahr, oder als Familie für 20 Euro pro Jahr. Für Jugendliche werden 5 Euro Jahresbeitrag fällig. Ein Monatsbeitrag in Form eines Talents wird automatisch eingezogen - eine symbolische Abgabe, die den Anreiz schaffen soll, seine Währung auch zu nutzen. Dsa Geld wird für die Vereinsarbeit und Veranstaltungen verwendet. (pru)
Am Anfang steht ein Inserat, wie Stiehle-Braun an einem urschwäbischen Beispiel veranschaulichte: »Sie bekommen Besuch und möchten Ihre Gäste mit einem guten, schwäbischen Kartoffelsalat bewirten. Also suchen Sie auf der Internetseite jemanden, der einen Salat anbietet.« Ist jemand gefunden, kann Kontakt aufgenommen werden. Findet sich niemand, kann man auch selbst ein Gesuch aufgeben und wird dann (hoffentlich) kontaktiert.
Nun einigen sich die verhandelnden Parteien auf einen Preis: Die beispielhaften drei Talente für einen Kartoffelsalat - also 30 Minuten - sorgten im Publikum für Lacher und hitzige Diskussionen über die richtige Zubereitung des schwäbischen Traditionsgerichts. Ist der Preis festgesetzt, werden die Talente überwiesen, der Salat kredenzt und die erwarteten Gäste hoffentlich glücklich und satt sein. Mit den drei Talenten, die der Koch nun erworben hat, kann er wiederum jemanden bezahlen, der die Katze füttert, während er selbst im Urlaub ist. Die Nachbarschaftshilfe hat das digitale Zeitalter erreicht.
Ohne Regeln geht's nicht
Ein paar besondere Regeln gelten für diesen modernen Austausch aber dann doch. »Die Waren, die benötigt werden - in diesem Fall also die Kartoffeln - werden natürlich bezahlt«, erklärte Stiehle-Braun. Auf eventuellen Kosten für einen Nachbarschaftsdienst solle niemand sitzen bleiben. Zudem werde »im Ring getauscht«, mit der ganzen Gemeinschaft. Der Kartoffelsalat-Koch muss also keine Gegenleistung von der Bekochten einfordern, sondern darf seine Talente nach seinem eigenen Bedarf einlösen. Natürlich bleibt es auch jedem selbst überlassen, auf ein Angebot einzugehen oder es abzulehnen.
»Wichtig ist uns zu betonen, dass es sich beim Zeittausch um kleine Arbeiten handeln soll. Nicht um große Projekte, die Personal erfordern«, stellte Stiehle-Braun klar. Ein Haus zu renovieren oder eine Gartenterrasse zu bauen, sei also nicht drin - man wolle nicht mit lokalen Wirtschaftsbetrieben konkurrieren oder gar potenzielle Aufträge abziehen. Zudem werde mit jedem zukünftigen Mitglied zuerst ein Informationsgespräch geführt, in dem die Regeln nochmal klar erläutert werden.
Einreihung in ein bestehendes Netzwerk
»Es soll nämlich nicht zu einem regionalen Marktplatz werden«, erklärte Rüdiger Streckert, der die Benutzung der Internet-Plattform mit all ihren Symbolen und Eingabefeldern vorstellte. Streckert selbst ist beim Zeittausch in Sindelfingen aktiv - der Geburtsstadt des Projekts in Baden-Württemberg - und brachte viel Erfahrung mit. Gomaringen reiht sich nämlich in das Tauschring-Netzwerk von Sindelfingen, Bondorf, Ehningen und Böblingen ein. »Warum sollten wir das Rad neu erfinden?«, stellte Bürgermeister Heß die rhetorische Frage. Man hätte so die Expertise und Erfahrung anderer Gemeinden zur Hilfe und könne das bestehende System mitbenutzen.
Einer Besucherin war diese Verbindung allerdings nicht ganz geheuer: »Heißt das, dass Menschen aus Böblingen auch auf die Inserate in Gomaringen zugreifen und die Daten aus unseren Profilen einsehen können?« Das sei grundsätzlich möglich, erklärte Streckert. »Aber jeder Teilnehmer kann entscheiden, welche Daten er über sich preisgibt«, fügte er hinzu. Wichtig sei nur, dass genug Informationen vorhanden seien, um den Handel abzuschließen - und wer jemanden für die Gartenarbeit brauche, komme nicht umhin, seine Adresse weiterzugeben. Der Datenschutz sei zudem gesichert und zertifiziert.
Es geht um Gemeinschaft
Aber wie kommt die Sache nun in Schwung? Zu Beginn habe schließlich niemand Talente, wie ein aufmerksamer Besucher erwähnte. »Deshalb bekommt jedes neue Mitglied zwölf Talente gutgeschrieben, die es aber bei seiner Abmeldung wieder zurückgeben muss«, sagte Streckert. Funktioniere das System gut, hielten sich die Ein- und Ausgaben in der Gemeinschaft die Waage. Das könne jedes Mitglied selbst überprüfen: Jede Transaktion ist transparent auf der Website einsehbar.
Mehrfach betonten die Ehrenamtlichen die Bedeutung der Gemeinschaft für das Projekt. »Es geht vornehmlich darum, in Kontakt miteinander zu kommen«, sagte Stiehle-Braun. Mit Veranstaltungen wolle man zudem mehr Reichweite generieren, ein Jahresprogramm für das kommenden Jahr sei gerade in der Mache. »Das Projekt lebt davon, dass sich jeder einbringt und dranbleibt.« Startschuss für den Zeittausch ist im Januar - aber Anmeldungen sind jetzt schon möglich. (GEA)