TÜBINGEN. Navel schaut neugierig aus seinen großen Augen. Aufmerksam betrachtet er sein Gegenüber und antwortet einfühlsam und positiv. Der KI-Roboter könnte Pflegefachkräfte unterstützen und älteren Mitmenschen als Gesprächspartner dienen. Doch das ist noch Zukunftsmusik. Am Mittwochvormittag tauschten sich verschiedene Akteure aus dem medizinischem Bereich beim 33. Geriatrietag des Landes Baden-Württemberg in den Tübinger Crona-Kliniken aus. Beleuchtet wurden insbesondere Aspekte der Geriatrie - der Altersmedizin - im Krankenhaus, aber auch im ambulanten und im Reha Bereich.
»Wir müssen den Menschen ganzheitlich sehen: Seine Teilfähigkeiten und nicht nur die Defizite. Man soll ein würdevolles Leben trotz Erkrankung führen können«, sagte Manfred Lucha, Landesminister für Soziales, Gesundheit und Integration. Die Autonomie bei der Bewältigung des Alltags gelte es zu erhalten. »Es geht dabei auch um Faktoren, wie die sozialen Verhältnisse, Ernährung und Bewegung.« Die geriatrische Versorgung müsse insgesamt pragmatischer werden. »In Baden-Württemberg fehlen 1.000 niedergelassene Ärzte«, gab er zu bedenken. Auch das Umfeld und die Angehörigen müssten besser einbezogen werden. Die finanzielle Situation sei schwierig: »Das Geld ist extrem knapp. Wir müssen es an den richtigen Stellen einsetzen.«
Verstärkt digital werden
Jürgen Bauer, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Geriatrie, hob hervor, dass die Kommunen durch die Defizite der Krankenhäuser sehr belastet seien. Auch die Bürokratie sei »unerträglich«. Er appellierte für mehr Vertrauen statt Überwachung. Zudem müssten verstärkt digitale Wege eingeschlagen werden. Auf der Cloud-Plattform Medi:cus werde beispielsweise getestet, wie Gesundheitsdaten besser ausgetauscht und verknüpft werden könnten. »So können kleinere Krankenhäuser schnell digital ins Gespräch mit größeren Unikliniken kommen«, erläuterte Bauer.
Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, veranschaulichte die Lücke in der Geriatrie zwischen Versorgung und Bedarf. »Bis 2035 werden wir etwa 515 zusätzliche stationäre geriatrische Rehabetten benötigen. Auch jetzt schon gibt es Wartezeiten von bis zu vier Monaten«, sagte er. Auch er möchte auf digitale Möglichkeiten setzen. »Die Telemedizin ist sogar bei extrem hochbetagten Patienten erfolgreich.«
In einer anschließenden Diskussion ging es inhaltlich in die Tiefe. Moderiert wurde sie von Regine Warth, Redakteurin bei der Stuttgarter Zeitung. »Man muss generell überlegen, wie viel Care-Arbeit wert ist«, gab Gabriele Hönes, Landesseniorenrätin und Abteilungsleiterin Gesundheit, Alter, Pflege beim Diakonischen Werk Württemberg. Die Eigenanteile für die häusliche Pflege sollten zudem gedeckelt sein. »Es kann nicht sein, dass man mehr draufzahlt, wenn man ambulant betreut wird.« So könne es teils günstiger sein mit Pflegestufe 3 ins Pflegeheim zu gehen, als zuhause betreut zu werden.
Hönes hob die Bedeutung von Prävention hervor. Die Gesundheits-Erziehung müss anders angelegt werden. »Im Kindergarten kommt die Zahnfee vorbei, in der Schwangerschaft die Hebamme und dann gibt es die Sturzprophylaxe im Pflegeheim«, sagte Hönes. Das sei es dann im Großen und Ganzen.
Die geplante Krankenhausreform vonseiten des Bundes sahen die Diskutanten kritisch. Matthias Einwang, Hauptgeschäftsführer der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft, erörterte ein Problem: Es seien verschiedene Leistungsgruppen und Mindestfallzahlen vorgesehen. Aber welche finanzielle Auswirkungen das habe und zu welchen Unsicherheiten das führen könnte, sei noch sehr unklar.
»Leider wird zu häufig die Botschaft «Pille statt Prävention» vermittelt. Jedoch kann man mit einem gesunden Lebensstil viele Krankheitsbilder deutlich hinauszögern«, sagte Bauernfeind. In anderen Ländern sei man bei diesem Thema deutlich weiter. Da ist Prävention auch eine Aufgabe der Kommunen. Man könne sich nicht einfach darauf verlassen, dass man die Krankheit im Akutfall noch behandeln könne. Bauer warf ein: »Die Entwicklung eines neuen Medikaments dauert immer noch 15 bis 20 Jahre.« (GEA)