TÜBINGEN. Früh blühende Pflanzen in den europäischen Wäldern beginnen die Blühsaison heute im Schnitt eine Woche früher als vor hundert Jahren. Davon zeugen Herbarbelege, wie Dr. Franziska Willems und Professor Oliver Bossdorf vom Institut für Evolution und Ökologie der Uni Tübingen gemeinsam mit Professor J. F. Scheepens von der Goethe-Universität Frankfurt herausgefunden haben. Das Forschungsteam nutzte die Sammeldaten von Herbarbelegen aus mehr als einem Jahrhundert für eine neu entwickelte Methode der geografisch-räumlichen Modellierung. So konnte das Team auch belegen, dass die frühere Blütezeit der Wildpflanzen mit der Klimaerwärmung zusammenhängt.
Buschwindröschen, Waldmeister, Lungenkraut und Frühlings-Platterbse blühen früh im Jahr im Unterwuchs des Waldes. »Sie nutzen ein kritisches Zeitfenster für die Blütezeit, bevor die Laubbäume ihre Blätter austreiben und den Unterwuchs beschatten«, erklärt Franziska Willems.
Wenn die Temperaturen steigen, öffnen sich die Blattknospen der Bäume tendenziell früher. Daran müssten sich auch die Frühblüher anpassen. »Allerdings gehen sie das Risiko ein, dass ihre geöffneten Blüten von spätem Frost geschädigt werden. Außerdem kommen sie nicht ohne bestäubende Insekten aus, die zur Blütezeit bereits aktiv sein müssen.«
Sammlungen als Quelle
Herbarien als Sammlungen gepresster und getrockneter Pflanzen decken lange Zeiträume und große Regionen ab. »Viele reichen 200 Jahre zurück, weltweit werden Hunderte Millionen von Belegen aufbewahrt«, sagt Oliver Bossdorf. »Pflanzen werden meist gesammelt, wenn sie blühen. Auf den Herbarbögen werden das Sammeldatum und der Ort notiert. So ergibt sich eine präzise Momentaufnahme«, sagt der Forscher.
Für die Studie untersuchte das Forschungsteam mehr als 6.000 quer durch Europa gesammelte Herbarbelege von 20 Frühblüher-Arten, um aus den Sammeldaten Verschiebungen der jahreszeitlichen Entwicklungsrhythmen abzuleiten. Im Durchschnitt blühten Pflanzen wie Einbeere, Bärlauch und Sauerklee mehr als sechs Tage früher als zu Beginn des letzten Jahrhunderts. »Die Blütezeit verschob sich pro Grad Celsius Erwärmung um 3,6 Tage nach vorn«, sagt Bossdorf.
Die räumliche Modellierung zeigte, dass die Pflanzen in manchen Teilen Europas früher, in anderen aber auch später blühten, als erwartet. »Bei kleinräumigen Studien wäre das Ergebnis unklar geblieben. Der Zusammenhang zwischen der nach vorn verschobenen Blütezeit und den steigenden Temperaturen tritt nur im großen Überblick klar hervor.« (u)