HECHINGEN. Als der Bürgermeister der damals noch eigenständigen Gemeinde Stein 1971 am Rande des Starzeltals einen antiken Mauerzug entdeckte, winkten die Archäologen ab: »Ach, Herr Schollian, was sollten denn die Römer hier im Steilhang gebaut haben?!«
Die weitere Geschichte ist bekannt: Bei den folgenden Grabungen wurden die Überreste einer Gutshof-ähnlichen Anlage freigelegt, die seit 1982 zu einem viel besuchten und ständig erweiterten Freilichtmuseum wurde.
In der Zeit zwischen 120 und 130 nach Christus hatten die Römer das Neckarland bis zum Odenwald erobert und mit der zivilen Aufsiedlung und Urbarmachung der Region begonnen. Nahe Stein entstand diese Siedlung in ungewöhnlicher Lage oberhalb einer römischen Straße. Es zeichnet sich bald ab, dass hier alles andere als ein landwirtschaftliches Anwesen errichtet wurde. Glaubte man bis 2017 mit dem vier Hektar großen ummauerten Museums-Gelände die Anlage erfasst zu haben, wurde durch Gebäude-Funde außerhalb klar: Die Siedlung muss ursprünglich bedeutend größer gewesen sein, wurde aber in späterer Zeit räumlich reduziert.
Vieles deutet auf den antik genannten und verschollenen Ort Solicinium hin. Tatsächlich steht die Anlage auf einem Bergsporn, der, denkt man sich die flankierenden Wälder weg, weithin sichtbar war. »Das war bewusste Inszenierung: Ein mondänes Bauwerk, das man erst nach einem beschwerlichen Anstieg erreichte und hinter dessen hohen Mauern sich ein sakraler Bereich verbarg, abgeschirmt vom Lärm der Umgebung«, sagte Dr. Klaus Kortüm, Denkmalpflege-Referent für Provinzialrömische Archäologie bei der Freilegung eines außergewöhnlichen Tempelbezirks des 2./3. Jahrhunderts vor zwei Jahren.
Dieser Bereich beherbergte neben der zentralen Jupitergiganten-Säue mindestens fünf kleine Kapellen, in denen – ähnlich kirchlicher Bildstöcke – aus Stein gemeißelte Gottheiten eingestellt waren.
Das muss man wissen, um den neuen außergewöhnlichen Fund einordnen zu können, der jetzt vorgestellt wurde. »Ein sensationeller Zufallsfund, aber wohl der beeindruckendste der ganzen Grabungskampagne seit fünfzig Jahren«, freut sich der Fördervereinsvorsitzende Gerd Schollian. Tatsächlich sind die Ausgräber bei der Suche nach der ursprünglichen Außenmauer rund dreißig Meter oberhalb der heutigen Umgrenzung mitten im Wald auf ein Trümmerfeld gestoßen.
Bisher konnten über hundert Sandstein-Fragmente geborgen werden. Davon rund 25 kürbisgroße Steinblöcke. Sie lassen sich verschiedenen Darstellungen aus dem antiken römischen Götterhimmel und den damit verbundenen Sagenkreisen zuordnen und waren Bestandteil eines Weihedenkmals. Und zwar eines recht großen, das aus mehreren übereinander gesetzten Steinquadern bestand. »Vergleichbare Funde in den römischen Grenzprovinzen an Rhein und Donau gibt es so gut wie keine. Das Exemplar hier muss überdies im Vergleich dazu recht groß gewesen sein«, so Kortüm. Nach der bisherigen Auswertung der Puzzelsteinteile kann man von einem mindestens fünf Meter hohen Monumentalbau ausgehen. Eher doppelt so hoch, wenn man die Anzahl der lebensgroßen Figuren auf vergleichbaren Säulen betrachtet und sie verteilt. Kortüm: »Das sind jedoch Hypothesen. Wir sind mitten in einem fortschreitenden Arbeitsprozess.«
Das Sandsteingebilde war mit wohl bunt bemalten Götterdarstellungen verziert, so Grabungstechniker Thomas Schlipf, »die nicht aus den Steinen herausragten, sondern in die Blöcke geschlagen worden waren«. Abgleiche mit andernorts gefundenen Denkmälern zeigen, dass aufgrund der Vielzahl der in Stein geborgenen Figuren, mit zwei oder drei »Stockwerken« gerechnet werden muss, wenn drei Seiten der Säule verziert waren. Die hintere, dem Betrachter im Hang abgewiesene Seite, könnte eine Weiheinschrift enthalten haben. »Es gibt Buchstabenfragmente, die uns noch Rätsel aufgeben. Wir suchen weiter und hoffen auf Reste des Fundaments zu stoßen, dann kommen wir der tatsächlichen Dimension näher«, so Kortüm. Auch ein Grabdenkmal ist nicht ausgeschlossen.

Der Vergleich mit Funden andernorts lässt die Bruchstücke höchstwahrscheinlich den Zeussöhnen Castor und Pollux, der Jagd-Göttin Diana und einem unbekannten Flussgott zuordnen. »Während der Tempelbezirk ein öffentliches Versammlungsheiligtum war, haben wird mit diesem zweiten Weihedenkmal eine Art Herrgottswinkel eines der Besitzer dieses Landsitzes«. Und derjenige muss ein sehr vermögender Mann gewesen sein. »Ich vermute, dass er aus der Oberschicht oder Verwaltung des städtischen Zentrums Sumelocenna (Rottenburg) stammte.« Von dort wird auch der Bildhauer kommen, »der hier sehr qualitätsvolle Arbeit geleistet hat«.
Schollian erinnert sich, dass zu seiner Kindheit noch Wiesen waren, wo heute Wald steht. »Ich weiß noch, da lagen Steine herum, die bei der Mahd immer im Weg waren«. Womöglich hatte er damals bereits die Denkmal-Reste gesehen. Sein Standort wird weitere 20 Meter nördlich und oberhalb der Fundstelle vermutet, weil dort weitere Teile liegen.
Kortüm: »Das Monument muss noch lange nach Aufgabe der Anlage Mitte der 200er Jahre hier gestanden haben, weil es der Verwitterung ausgesetzt war.«
Die Quader mit den Reliefs, die die antiken Götter und die damit verbundenen Sagenkreise zeigen, wurden offenbar in große und kleine Teile zerschlagen. Als man begann, im Dorf Stein – der Name kommt ja nicht von ungefähr – Häuser aus Stein zu bauen, »bediente man sich an den Blöcken. Was wir nicht mehr im Boden finden, könnten wir in den Fundamenten der Gebäude im Ort finden«, so Kortüm. Als man begann, Landwirtschaft auch am Hang zu betreiben, wurden Kuhlen im Hang mit den übrigen Steinfragmenten aufgefüllt. Gleichwohl gibt es heute noch den verfallenen Steinbruch, von wo das ganze antike Baumaterial stammt – es liegt 500 Meter westlich im Wald. (GEA)