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Asylbewerberin verletzt Polizist mit Messer: Versuchter Mord?

Asylbewerberin attackierte in Tübingen Polizisten mit Messer. Staatsanwältin will sechseinhalb Jahre Haft

Foto: dpa
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TÜBINGEN. Wenn es nach Staatsanwältin Silke Lindemann geht, soll die 31-jährige Frau aus Nigeria, die im April im Tübinger Stadtteil Pfrondorf einen Polizeibeamten mit dem Messer attackierte, für sechseinhalb Jahre hinter Gitter. Die Angeklagte habe heimtückisch gehandelt, weshalb es sich bei der Tat um einen versuchten Mord handle, so Lindemann. Verteidiger Franz Spindler plädierte dagegen für »eine Strafe unter drei Jahren« wegen versuchten Totschlags. Mit einem Urteil des Tübinger Landgerichts ist am kommenden Freitag zu rechnen.

Die 31-jährige Asylbewerberin lebte mit ihren beiden Kindern bereits seit über drei Jahren in der Pfrondorfer Unterkunft. Das Gebäude sollte aber geräumt werden und alle Bewohner umziehen. Für die 31-Jährige stand bereits eine Wohnung in Pfäffingen bereit. Dorthin wollte sie aber nicht. Im Vorfeld des vom Landratsamt angeordneten Umzugs drohte sie deshalb, sich und ihre Kinder zu töten, wenn sie in die neue Wohnung müsse.

Am 18. April kamen Mitarbeiter vom Landrats- und Jugendamt nach Pfrondorf. Weil die Lage immer noch angespannt war, riefen sie die Polizei. Drei Streifenwagenbesatzungen fuhren zu der Asylbewerberunterkunft, auch das Sondereinsatzkommando (SEK) der Polizei war informiert und unterwegs.

Zugestochen und geflüchtet

Bevor das SEK vor Ort war, ging einer der Streifenpolizisten auf die 31-Jährige, die im Eingangsbereich stand, zu, weil er offenbar Angst um die Kinder der Frau hatte. Er schüttelte ihr zur Begrüßung die Hand und legte ihr dabei seine andere Hand auf die Schulter. In diesem Augenblick eskalierte die Situation. Die Frau zog ein langes Küchenmesser aus ihrem Hosenbund und stach auf den Polizeibeamten ein. Glücklicherweise konnte er rechtzeitig reagieren und erlitt nur zwei kleinere Schnittwunden. Danach flüchtete die Frau. Mehrere Polizeibeamte und der Einsatz von Pfefferspray waren nötig, um sie zu überwältigen. Sie hatte in dieser Stresssituation offenbar große körperliche Kräfte entwickelt.

Wer mit so gezielten Bewegungen auf einen Menschen losgehe und bei den Stichen auch noch die Richtung verändere, der wolle in diesem Moment auch töten, ist sich Staatsanwältin Lindemann sicher. Der Polizeibeamte sei wehrlos und überrascht gewesen. Der Angriff sei überfallartig gekommen und habe keine Ankündigung gehabt. Das Mordmerkmal der Heimtücke sei dadurch erfüllt. Die Drohung der 31-Jährigen, sich und ihre Kinder umzubringen, war nach Ansicht Lindemanns ein Erpressungsversuch, um nicht umziehen. Überspitzt gesagt habe die Angeklagte ein Haus mit Garten für sich und ihre Kinder gewollt. Als sie wegen des Polizeibeamten gemerkt habe, dass ihr Erpressungsversuch scheitere, habe sie zum Messer gegriffen.

Verteidiger Spindler war anderer Auffassung. Wegen der Drohung im Vorfeld habe der Polizeibeamte mit einem Angriff rechnen müssen. Er habe doch von dem Messer gewusst. Auch warf er dem Beamten vor, dass er nicht auf die speziellen Einsatzkräfte der Polizei und das Kriseninterventionsteam gewartet habe. Seine Mandantin sei keine kaltblütige Mörderin, so Spindler. Die 31-Jährige habe sich in einem Ausnahmezustand befunden. Außerdem habe der Beamte letztlich doch auch keine schwerwiegenden Verletzungen (»zwei Kratzer«) erlitten.

Die Angeklagte erklärte in ihrem letzten Wort unter Tränen, dass es ihr »sehr, sehr leidtut, was geschehen ist«. Sie habe nie die Absicht gehabt, jemanden zu töten. So etwas werde nie wieder passieren. Das Sigmaringer Verwaltungsgericht hat inzwischen entschieden, dass die 31-jährige Frau und ihre Kinder nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden können, weil dort eine existenzielle Notlage drohe. (GEA)