STUTTGART. Nach dem Platzen der Gespräche einer parteiübergreifenden Bildungsallianz im Land hatte Ministerpräsident Kretschmann Anfang Mai in einer Regierungserklärung ein Bildungspaket vorgestellt, auf das sich die Regierungskoalition aus Grünen und CDU verständigt hatte. Seitdem verhandelten Vertreter der Koalition weiter zu den Eckpunkten der Reformen, nächste Woche sollen sie nun im Kabinett behandelt werden. Der bildungspolitische Sprecher der Grünen und Reutlinger Landtagsabgeordnete Thomas Poreski war Teil der Verhandlungsgruppe. Er gibt dem GEA im Interview Einblick in das geplante Paket, das das neue G9, aber auch Strukturreformen beinhaltet.
GEA: Was hat die Regierung in Sachen Bildung vor, welche Schulreformen werden momentan auf den Weg gebracht?
Thomas Poreski: Ein wichtiger Punkt aus dem Bildungspaket ist die Sprachförderung in Kita und Grundschule. In Summen beziffert, beginnt diese im nächsten Jahr mit etwa 100 Millionen Euro, die hier zusätzlich ausgegeben werden, um Kinder im Vorschulalter und in der Grundschule intensiv zu fördern. Bis 2030 wächst diese Summe auf nahezu 400 Millionen weiter an. Neben Hamburg liefern wir damit im Ländervergleich das größte Förderpaket für Kinder im Vorschul- und Grundschulalter.
Es wurde angekündigt, die Profile an den Sekundarschulen zu stärken. Was soll hier genau passieren?
Poreski: Real- und Gemeinschaftsschulen sollen in Zukunft in diversen Kooperationen einen klaren Weg zu allen Abschlüssen bis hin zum Abitur darstellen können. Gemeinschaftsschulen können zudem künftig leichter gymnasiale Oberstufen bilden, untereinander und zusätzlich im Verbund mit allgemeinbildenden und beruflichen Gymnasien. Bisher waren das streng getrennte Säulen. Die Idee dahinter ist, dass Real- und Gemeinschaftsschulen im Vergleich mit Gymnasien zwar nicht gleichartig, aber gleichwertig sind. Realschulen und Gemeinschaftsschulen erhalten ein starkes berufliches Profil, die Gemeinschaftsschulen sollen zudem zur »Studierfähigkeit« führen. Bei allen, auch an den Gymnasien, stärken wir mit den Reformen den naturwissenschaftlichen und den gesellschaftswissenschaftlichen Bereich.
»Ein zweigliedriges Schulsystem war mit der CDU nicht zu machen«
Was ist aus dem von Ihnen vor Monaten angesprochenen Plans eines zweigliedrigen Schulsystems geworden, das auch einige Experten und Schulpraktiker kürzlich gefordert haben? Sind die Grünen hier vor der CDU eingeknickt?
Poreski: Wir Grüne sind mit dem Vorschlag eines zweigliedrigen Schulsystems in die Verhandlungen mit der CDU gegangen. Also einer Sekundarschule neben dem Gymnasium, die mit konzeptioneller Vielfalt alle drei Niveaus anbietet: das grundlegende Niveau der Hauptschule, das mittlere der Realschule und das erweiterte Niveau, das Richtung Abitur geht. Das war aber mit der CDU nicht zu machen. Das ist schade. Aber auch im Rahmen einer Bildungsallianz wäre dies nicht möglich gewesen, da hier die FDP auf keinen Fall mitgespielt hätte. Was wir aber erreicht haben, ist, dass Schulkulturen offener werden können, die pädagogischen Gestaltungsräume werden größer. Wir bewegen uns damit in die richtige Richtung.
Die Abschaffung des Werkrealschulabschlusses ist nun tatsächlich endgültig beschlossen?
Poreski: Ja, und es wird hier zudem eine Strukturbereinigung geben: Werkrealschulstandorte, die zu klein sind, gehen entweder in einen Verbund oder sie lösen sich auf. Werkrealschulen, die noch eine entsprechende Nachfrage haben und gute Arbeit machen, bleiben unangetastet, gehen aber künftig nur noch bis zum Hauptschulabschluss. Diese Schulen können weitermachen oder eine Schulentwicklung in Richtung Realschule oder Gemeinschaftsschule machen. Man muss in diesem Zusammenhang auch wissen: Der Werkrealschulabschluss wird nur in Baden-Württemberg anerkannt. Seine Abschaffung führt zu einer deutlich geringeren Zersplitterung als heute.
»In Zukunft weniger Stofffülle, dafür mehr Tiefe bei G9«
Was ist bei der Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium geplant?
Poreski: Baden-Württemberg kehrt ab dem Schuljahr 2025/26 zum G9 zurück. Wir beginnen mit den Klassen 5 und 6 – und dann aufwachsend. Höhere Klassen werden nicht mehr in das neue G9 aufgenommen werden können. Aber auch hier wollen wir, nach dem Vorbild der internationalen PISA-Sieger, mehr zukunftsfähige Bildung ermöglichen: Zeitgemäße Prüfungsformate, weniger Stofffülle, dafür mehr inhaltliche Tiefe, die Konzentration auf lebensnahe, studien- und berufsqualifizierende Kompetenzen – und dadurch ein höheres Niveau bei geringerer zeitlicher Belastung der Schülerinnen und Schüler.
Gibt es bei G9 auch inhaltliche Neuerungen?
Poreski: In den unteren Klassen wird es künftig auch an den Gymnasien eine verstärkte Basiskompetenzförderung geben. Insgesamt werden der naturwissenschaftliche und der gesellschaftswissenschaftliche Bereich gestärkt. Medienbildung, Informatik und KI sollen durchgehend verankert werden. Ein Stichwort ist auch digitale Mündigkeit und der Umgang mit neuen Medien – verantwortungsvoll, reflektiert und kritisch. All das brauchen wir, damit die jungen Menschen auf das Leben in einer unübersichtlicheren Welt vorbereitet werden, aber auch den Wert von Demokratie erleben und erkennen. Viele preisgekrönte Schulen in Baden-Württemberg bewegen sich im Moment mit ihren erfolgreichen Konzepten im schulischen Graubereich. Das ändert sich. Künftig können alle Schulen viel mehr fächerübergreifend und in Projekten arbeiten.
Sie sind also zufrieden mit den Verhandlungen mit Ihrem Koalitionspartner, der CDU?
Poreski: Das Paket, das wir ausgehandelt haben, geht weit über den Koalitionsvertrag hinaus, es ist ein großer Schritt nach vorne. Einen Großteil des finanziellen Spielraums im nächsten Doppelhaushalt des Landes haben wir für den Bildungsbereich reserviert. Das zeigt, wie wichtig uns Bildung ist. Zusammengefasst: Die Richtung stimmt. Es wird einfacher, klarer, profilierter. Und pädagogisch zukunftsweisend. (GEA)
Zur Person
Thomas Poreski (60) ist bildungspolitischer Sprecher der Grünen im Stuttgarter Landtag. Er sitzt dort seit 2011 als Abgeordneter für den Wahlkreis Reutlingen. Seit März 2022 ist Poreski außerdem stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Der ausgebildete Diplom-Sozialarbeiter und Diplom-Pädagoge ist Vater zweier erwachsener Kinder und wohnt in Reutlingen. (kali)