Künzelsau (dpa) - Schrauben-Milliardär Reinhold Würth schreibt dem eigenen Außendienst den mit Abstand größten Anteil am rasanten Wachstum seines gleichnamigen Handelsunternehmens in den vergangenen Jahrzehnten zu. »Der Außendienst ist zu 90 Prozent für den Erfolg des ganzen Unternehmens verantwortlich. Dahinter kommen die Informatiker mit fünf Prozent, und der ganze Rest kommt auch nochmal auf fünf Prozent«, sagte der 84 Jahre alte Firmenpatriarch der Deutschen Presse-Agentur. Er betonte: »Am wichtigsten sind die Verkäufer: Denn wenn die Außendienstler zwei Tage lang im Bett bleiben, wäre unser Betrieb tot. Und wenn keine Aufträge mehr kommen, dann haben die ganzen Leute hier nichts mehr zu tun, dann können sie heimgehen.«
Der Mischkonzern ist in unterschiedlichsten Branchen aktiv, vorrangig allerdings im Montage- und Handwerksbereich. Früher auf Schrauben spezialisiert, bietet Würth heute beispielsweise auch Werkzeuge, Elektronik-Bauteile und Elektrogeräte oder chemische Produkte an. In seinem Kerngeschäft, das mehr als die Hälfte des Umsatzes ausmacht, verkauft das Unternehmen seine Produkte nicht an Privatpersonen, sondern nur an Profis, also etwa Handwerks- und Industriebetriebe. Zum Kerngeschäft gehören mehr als 125 000 Artikel. Knapp 34 000 der mehr als 78 600 Würth-Mitarbeiter sind Verkäufer im Außendienst.
Reinhold Würth hatte kurz nach dem Krieg in der väterlichen Firma eine Lehre gemacht - und das Unternehmen von 1954 an dann geführt. Würth erwies sich als Verkaufs- und Managertalent. Aus einem Mini-Betrieb machte er einen Milliardenkonzern, der 2019 mehr als 14 Milliarden Euro umsetzte. Aus dem operativen Bereich hat er sich längst zurückgezogen. Würth ist einer der reichsten Deutschen.
Jahrelang war Würth selber als Verkäufer der eigenen Produkte unterwegs - ein Beruf, der mehr eine Berufung als ein Job gewesen sei. »Der Verkäuferberuf ist der schönste auf der ganzen Welt, weil Sie permanent mit allen Sorten von Menschen, die auf Gottes Erdboden leben, in Kontakt kommen«, betonte Würth. Sein größter Vorteil sei es gewesen, dass er sich eine hervorragende Menschenkenntnis habe aneignen können. »Wenn man wie ich mit Tausenden von Menschen zu tun hat, merkt man schnell, was man von den Leuten zu halten hat: Ob man vorsichtig sein muss oder nicht, ob es sich um einen Großsprecher oder um einen Bescheidenen handelt, wer ein Choleriker ist und bei wem man das Wort nicht ganz ernst nehmen sollte.« Er betonte: »Als Verkäufer lernen Sie, Blender zu enttarnen.«
Eine seiner Erfahrungen als Großunternehmer sei beispielsweise, dass Sportler vertrauenswürdige Menschen seien. »Sportler sind meistens verlässlich, die habe ich immer sehr gerne eingestellt. Außer Golfer, weil die immer so viel Zeit auf dem Golfplatz verbringen.«
Die große Kunst eines Verkäufers sei es auch in der heutigen Zeit, mit jeder Art von Mensch zurechtzukommen und jedem etwas verkaufen zu können. »Denn Sie wollen ja immer einen Auftrag. Sie müssen sich von daher ganz auf den Kunden einlassen und erkennen, was er will und was man ihm als Vorteil anbieten kann. Wir Verkäufer müssen Strategien entwickeln für Menschen verschiedenster Couleur.«
Würth selbst begleitet ab und zu noch immer Außendienstler zu Firmenbesuchen, wie er berichtet. Die Atmosphäre bei diesen Terminen habe aber wenig mit dem Verkaufsalltag zu tun. »Ich muss zugeben, dass das inzwischen eher Kino ist: Die Verkäufer kündigen bei unseren Kunden schon vorab an, dass sie nächstes Mal den alten Würth mitbringen. Dann hängen die Kunden extra die Würth-Fahnen raus und die Frau backt einen Kuchen«, berichtete Würth. »Unter unseren Verkäufern wird es mit Schmunzeln und Wohlwollen zur Kenntnis genommen, dass der alte Gnom da immer noch ein bisschen im Außendienst mitmischen will.«
Der beste Verkäufer sei nicht derjenige, der am besten reden könne, sondern derjenige, der am besten zuhöre. »Ich habe bei uns im Unternehmen viele Verkäufer erlebt, die extrem unsicher waren, die anfangs schon rot geworden sind, wenn man sie nur angeguckt hat, und die eine Riesenangst vor Kundenbesuchen hatten. Dennoch wurden einige von ihnen großartige Verkäufer, weil sie zuhören konnten«, sagte Würth. Er beklagte, das Nicht-Zuhören-Können sei ein großes Problem der deutschen Gesellschaft. »Jeder redet und keiner hört mehr zu. Wenn Sie in einer Gruppe von zehn Leuten zusammensitzen, werden Sie das merken: Acht oder neun Leute reden, allenfalls einer hört zu.«