DETTINGEN. Von Holz kann Ingrid Ertel nie genug bekommen: »Es riecht gut und fühlt sich gut an«, beschreibt die 58-Jährige ihre Begeisterung fürs Naturmaterial. »Es ist für mich ein Glücksgefühl, wenn Holz harzig oder nach Wald riecht, es ist einfach kein totes Material.« Deshalb ist für sie der Gang zum Arbeitsplatz kein schwerer. Er ist immer mit Freude verbunden und das seit vier Jahrzenten: Ingrid Ertel arbeitet seit 1980 in der Holzwerkstatt, in der sie auch groß geworden ist. 1962, im Jahr ihrer Geburt, hatte sich ihr Vater Wilhelm Beck selbstständig gemacht, Mutter Annemarie arbeitete von Anfang an stets in Vollzeit mit. Der Arbeitsplatz der Eltern in der Kappishäuser Straße war der beste Abenteuerspielplatz für Ingrid Ertel und ihre beiden Schwestern.
Schon in siebter Generation arbeitet Ingrid Ertels Familie mit Holz. Der Ursprung der Tradition liegt in der Wagnerei: »Mein Vater ist einer der Letzten in Dettingen gewesen, der das Wagnerhandwerk lernen konnte«, erzählt sie aus der Familiengeschichte. Er war aber auch Spezialist für Leiternbau, der seit jeher Schwerpunkt des Familienbetriebs ist. Manche für den Obstbau typische Utensilien gibt es denn auch nur beim Dettinger Handwerksbetrieb: »Wenn wir im Winter auf Messen gehen, muss ich die Funktion vom Kirschenhäkle erst erklären.«
»Zehn Jahre hat die Nachfrage nach Holzleitern vor sich her gedümpelt«
Auch die Obstkisten sind deutschlandweit gefragt, die Leitern erst recht: »Wenn in Hannover ein Schnittkurs war, kommt danach eine Bestellwelle auf uns zu.« Das war nicht immer so, deshalb gibt es auch nicht mehr allzu viele Hersteller von Holzleitern in Deutschland. In den 70er-Jahren waren Aluleitern ein großer Trend: »Man wollte modern sein, zehn Jahre hat die Nachfrage nach Holzleitern vor sich her gedümpelt«, erinnert sich Ingrid Ertel. Seit den 90er-Jahren wird die Aufstiegsmöglichkeit aus Holz wieder geschätzt, vor allem auch, weil es ein »warmes« Material ist: Steht im Winter der Baumschnitt an, komme man laut Ingrid Ertel mit einer Aluleiter an die Grenzen. Und, das meinen jedenfalls viele Obstbaumwarte: Eine Holzleiter verletzt die Rinde des Baumes nicht, weil der Holmen abgerundet und weich ist. Vor allem sind die Holzleitern eines: langlebig. »Ich bin manchmal selbst erstaunt, wie lange sie halten«, gibt die 58-Jährige zu. Es komme schon mal vor, dass 60 Jahre alte Exemplare zur Reparatur in ihre Werkstatt gebracht werden.
Von ziemlich handlich und praktisch bis zu wuchtig und schwer reichen die Varianten, die Sprossen sind aus Eschen-, die Holmen aus Fichtenholz, und die Beschläge werden speziell für Leitern Beck in der Schlosserei von Klaus Schwenkel in Hülben gefertigt: Die längste Holzleiter im Sortiment ist 6,10 Meter lang, hat 21 Sprossen und wiegt 16 Kilogramm.
Leitern herzustellen ist eine körperlich anstrengende Arbeit, die bei Leitern Beck jahrelang in Frauenhand war. Nachdem es dem Vater gesundheitlich immer schlechter ging, leitete Ingrid Ertels Mutter Annemarie Beck bis zu ihrem Ruhestand 2000 das Unternehmen. Immer an ihrer Seite waren die Töchter Ingrid Ertel und Steffi Uebele, die dann den Betrieb weiterführten. Die Frauen-Power wurde von der Männerwelt kritisch beäugt: »Es sind immer wieder Männer in die Werkstatt gekommen, die nach dem Chef gefragt haben.« Es habe sich viel getan. »Es hat aber 30 von meinen 40 Berufsjahren gedauert, bis ich als Frau akzeptiert wurde.« Kein Wunder, dass zu einem Highlight ihres Berufsleben ein besonderes Kompliment gehört, ausgesprochen am Zaun des Freiluftbereichs der Werkstatt: »Da kam ein Senior mit seiner Frau vorbei und meinte, dass wir die fleißigsten Mädchen in Dettingen sind.«
»Es sind immer wieder Männer in die Werkstatt gekommen, die nach dem Chef gefragt haben«
Aus Dreien wurde eine: Ingrid Ertels Schwester Steffi Uebele hatte sich für eine berufliche Veränderung entschieden, am 1. Januar 2018 übernahm ein Dettinger Schreiner die Unternehmensführung. Für Ingrid Ertel hat sich dadurch nicht viel geändert, sie macht weiter, was sie fast ihr ganzes Berufsleben macht: Leitern bauen, aber auch Paletten, Verpackungs- und Obstkisten. Fast, weil sie ihre Ausbildung im Textilhaus Scholz in Metzingen absolvierte, gleich danach ging es 1980 in den väterlichen Betrieb. »Ich mache es, solange es mir Spaß macht. Wenn das mal nicht mehr der Fall sein sollte, höre ich auf.«
Doch damit rechnet sie nicht: »Im Prinzip könnte ich die 50 Jahre im Betrieb voll bekommen.« Bei aller Liebe zum Beruf nimmt sie sich inzwischen konsequent eine Auszeit, hat die Arbeitszeit reduziert: »Montag ist Omatag.« (GEA)