REUTLINGEN. »Wenn es uns ganz weit trägt, dann auch ins Kanzleramt«, hatte Robert Habeck unter dem Jubel seiner Parteifreunde Mitte November beim Bundesparteitag der Grünen in Wiesbaden verkündet. Und ließ damit seine gebeutelte Partei ein bisschen träumen. Ob es beim Landesparteitag der Grünen am Wochenende in der Reutlinger Stadthalle ebenfalls zu Jubelstürmen kommt, wird vor allem von den Reden Cem Özdemirs und Winfried Kretschmanns abhängen. Beide werden dort am Rednerpult erwartet.
Während am Samstag die Listenplätze für die Bundestagswahl vergeben werden, geht es bei der 44. Landesdelegiertenkonferenz (LDK) am Sonntag neben Formalien vor allem um die Einstimmung der Landespartei auf den Bundestagswahlkampf. »Wir sind gut aufgestellt und das werden wir am Wochenende auch zeigen«, zeigt sich der Landesvorsitzende der baden-württembergischen Grünen, Pascal Haggenmüller, dem GEA gegenüber selbstbewusst.
»Wir sind bereit und das wollen wir auch am Wochenende beim Parteitag in Reutlingen klar machen«
Die ganze grüne Landespartei habe »richtig Lust auf diesen Winterwahlkampf«, so Haggenmüller. »Wir sind bereit auf die Straße zu gehen und fühlen auch ganz viel Rückenwind vor der Bundestagswahl.« Das Ampel-Aus würde von vielen Grünen als befreiend empfunden, die Partei habe auch im Land viele neue Mitglieder gewonnen. »Wir sind bereit und das wollen wir auch am Wochenende beim Parteitag in Reutlingen klarmachen«, sagt der Landesvorsitzende und gibt damit schon mal die Richtung vor.
Cindy Holmberg, Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Hechingen-Münsingen, wird am Samstag bei der Landeswahlversammlung als Mitglied des Landesvorstands die Nominierungen moderieren. Auf dem Spitzenplatz der Landesliste erwartet Holmberg die frisch gewählte Bundesvorsitzende Franziska Brantner, auf Platz zwei deren Vorgängerin Ricarda Lang. Bei den weiteren Listenplätzen könnte es aber durchaus spannend werden.
»Bei der Listenaufstellung ist bei den Grünen immer mit Überraschungen zu rechnen«
Denn bei der Aufstellung der Listen müsse gerade bei den Grünen auf vielfältigen Proporz geachtet werden, erklärt Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung. Die einzelnen »Teilorganisationen«, wie etwa Realos, Linke, Fundis oder Grüne Jugend müssten dabei Berücksichtigung finden. Das Aufstellungsverfahren sei zwar bei den Grünen zur Routine geworden, der Politikwissenschaftler weiß aber auch: »Die Partei ist immer noch diskussionsfreudiger als andere. Daher ist bei der Aufstellung auch immer mit Überraschungen zu rechnen.«
Für Cindy Holmberg steht beim Parteitag am Sonntag ebenfalls der Bundestagswahlkampf im Vordergrund. »Ich freue mich, wenn der Wahlkampf jetzt losgeht«, betont sie. Von Konflikten auf dem Parteitag will die Abgeordnete hingegen nichts wissen. So kurz vor der Bundestagswahl sei das Motto in der Partei »Zusammenhalt«. »Es bringt nichts, sich zu zerfleischen, nur gemeinsam schaffen wir es«, sagt Holmberg. Sie hält mit Robert Habeck als grünem Spitzenkandidaten ein Ergebnis zwischen 18 und 20 Prozent für ihre Partei für realistisch. Auf jeden Fall wolle man aber mehr Stimmen als die SPD erringen.

Kontroverse Debatten könnte es aber trotzdem geben, das muss auch die in Reutlingen lebende Abgeordnete einräumen. Bei Punkt Vier auf der Tagesordnung, der Aussprache zur aktuellen politischen Lage, könnten Konfliktthemen, wie etwa die Migrationsdebatte oder das Sicherheitspaket zur Sprache kommen. Flügelkämpfe erwartet Holmberg auf dem Parteitag aber keine. Man darf gespannt sein, ob nach dem Vorbild des Bundesparteitags in Wiesbaden nun auch in Reutlingen als Zeichen des intern vereinbarten Kuschelkurses Freundschaftsbändchen geknüpft werden.
Gespannt darf man vor allem aber auch auf die Rede Cem Özdemirs sein. Der designierte Spitzenkandidat der Grünen für die kommende Landtagswahl und derzeitige Bundesminister tritt schon am Samstag vor die Delegierten. Welche Botschaften die Landes-Grünen von Kretschmanns Kronprinzen erwarten? Holmberg sagt: »Von der Rede Özdemirs erwarte ich mir, dass er einen klaren Plan für das Land, aber auch für den Bundestagswahlkampf vorlegt.« Die Abgeordnete, die dem linken Flügel der Partei zugeordnet wird, verrät im Vorfeld aber auch: »Wesentlich für den Wahlkampf wird die Wirtschaftspolitik sein, und darauf bereiten wir uns auch vor.«
»Von der Rede Özdemirs erwarte ich mir, dass er einen klaren Plan für den Bundestagswahlkampf vorlegt«
Die baden-württembergischen Grünen werden am Wochenende in der Reutlinger Stadthalle mit großer Wahrscheinlichkeit auch immer wieder den Blick nach Norden wenden. Denn neben den Zugpferden Kretschmann und Özdemir für das Land, sitzt dort mit dem derzeitigen Wirtschaftsminister und Vizekanzler der Mann, auf den sich vor der Bundestagswahl alle grünen Scheinwerfer richten. »Wir bauen auf die Person Robert Habeck«, sagt auch Holmberg. »Er hat das Land in der Krise gut geführt. Und er hat das Format, Bundeskanzler zu sein und unser Land zu führen.«
Trotz aller Motiviertheit und steigender Umfragewerte müssen sich die Grünen in den kommenden Wochen warm anziehen. Aber dafür hätten sie bei den Parteitagen ja auch schon lange genug gestrickt, meint ihr Landesvorsitzender Haggenmüller und nimmt damit die Masche des derzeitigen Running-Gags der Grünen auf. (GEA)