STUTTGART/REUTLINGEN. Diese neue EU-Richtlinie sorgt für reichlich Verwirrung: Mit dem 1. Januar 2025 ist in der Europäischen Union die sogenannte Getrenntsammlungspflicht in Kraft getreten. Textilien sollen nun nicht mehr im Restmüll landen, sondern im Altkleidercontainer gesammelt werden. Grundsätzlich gilt dies auch für beschädigte, stark verschmutzte und nicht mehr tragbare Textilien. Bei vielen Verbrauchern sorgt dies nun für Verunsicherung. Bei gemeinnützigen Organisationen, die Altkleider sammeln, löst die neue Regelung sogar Besorgnis aus.
Was besagt die neue EU-Richtlinie?
Die neue EU-Abfallrichtlinie besagt, dass Alttextilien in Zukunft getrennt gesammelt sowie recycelt oder wiederverwertet werden müssen. Konkret bedeutet das: Altkleider dürfen in der EU nicht mehr im Restmüll entsorgt werden. Die EU-Richtlinie unterscheidet hierbei nicht zwischen tragbaren, kaputten, zerschlissenen oder stark verschmutzten Textilien.
Was soll durch die neue EU-Richtlinie erreicht werden?
Ziel der EU ist es, alte Textilien häufiger wiederzuverwenden oder zu recyceln. Denn Textilien, die im Restmüll landen, werden verbrannt. Ab sofort sollen also Textilien aller Art abgegeben werden, um in den Recycling-Kreislauf zu gelangen. Zum Hintergrund: Der europäische Textilienverbrauch ist nach der Lebensmittelerzeugung, dem Wohnen und der Mobilität die viertgrößte Ursache von Umweltbelastung und Klimawandel. In der EU werden jährlich rund 5,8 Millionen Tonnen Textilien im Müll entsorgt, dies entspricht 11,3 kg pro Person.
Wie sieht die Getrenntsammlung von Altkleidung in Deutschland aus?
Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern läuft die Altkleidersammlung in Deutschland schon sehr gut. Sie wird vielfach über gemeinnützige Organisationen wie die AWO, das DRK oder die Aktion Hoffnung organisiert. Daran wird sich auch mit der neuen Regelung nichts ändern. Je nach Schätzung liegt die Sammelquote an Altkleidung hierzulande bei bis zu 65 Prozent. Zum Vergleich: In Lettland sind es laut Europäischer Umweltagentur nur knapp fünf, in Spanien nur rund zwölf Prozent. Vor allem in Ländern wie diesen soll die neue Regelung dafür sorgen, dass Textilien seltener im Restmüll landen.
Was sagen gemeinnützige Organisationen, die bei uns einen Großteil der Sammelstellen betreiben?
»Wir spüren eine große Verunsicherung und fürchten vor allem eine Missinterpretation der neuen EU-Verordnung«, sagt Anton Vaas, Vorstand der Aktion Hoffnung Rottenburg-Stuttgart. Die Getrenntsammlungspflicht sei vor allem deshalb eingeführt worden, weil es in den meisten EU-Ländern bisher überhaupt keine getrennte Erfassung von Altkleidern gegeben habe, bestätigt Vaas, der außerdem Vorsitzender des Dachverbands Fairwertung ist. Zum Dachverband gehören bundesweit rund 150 gemeinnützige Organisationen, die Altkleider sammeln.
Laut Vaas gibt es nun aber ein großes Problem: »In Deutschland wurde die neue Richtlinie nun so interpretiert, dass alle Textilien in die Altkleidersammlung sollen. Doch das ist falsch: Zerschlissene, verdreckte und kaputte Kleidung sind Abfall und gehören weiterhin in den Restmüll!« Die Aktion Hoffnung befürchtet, dass kaputte Textilien nun den Umweg über Altkleidercontainer nehmen, die sie dann »mühsam und mit hohen Kosten« aussortieren müssten, um sie am Ende doch wieder dem Müll zuzuführen.
Sollte diese Situation in Deutschland tatsächlich eintreten, drohe ein Kollaps der Altkleidersammlung. »Viele Organisationen steigen schon jetzt aus der Altkleidersammlung aus, die Missinterpretation der Verordnung könnte das Ende der Branche bedeuten«, warnt Vaas. Daher seine Empfehlung an die Bürgerinnen und Bürger: Jedes Kleidungsstück, das man ohne Bedenken an Familienmitglieder oder Freunde weitergeben würde, kann in die Altkleidercontainer. »Alles andere soll und darf auch weiterhin in die Restmülltonne.«
Die Deutsche Kleiderstiftung, die ebenfalls Altkleidercontainer betreibt, bittet die Verbraucher ebenfalls, stark zerschlissene, verdreckte oder anderweitig kontaminierte Textilien weiterhin über die Restmülltonne zu entsorgen. »Für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ändert sich durch die Getrenntsammlung zunächst nichts«, heißt es in einer Mitteilung. Die Stiftung begründet dies damit, dass das Altkleidersystem in Deutschland bereits gut funktioniert und von den Bürgern akzeptiert werde.
Wie reagieren die lokalen Abfallwirtschaften?
Noch ist nicht klar, wie die Kommunen die gesonderte Entsorgung von Altkleidern jeder Art, also auch die, die Organisationen nicht haben wollen, regeln werden. Zusätzlich zu dem bereits existierenden System durch gewerbliche und gemeinnützige Sammlungen, müssen die kommunalen Entsorgungsträger nun eigene Konzepte entwickeln, um der gesetzlichen Pflicht nachzukommen. Denkbar wäre die Einführung neuer Sammelbehälter, erweiterte Öffnungszeiten von Wertstoffhöfen oder Kooperationen mit den bestehenden Sammlern.
Die Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) gibt auf GEA-Nachfrage an, schon im Jahr 2017 ein Konzept zur Erfassung von Altkleidern beschlossen zu haben. Altkleider können dort seither entweder in einem von fünf Stuttgarter Wertstoffhöfen abgegeben oder in einem der rund 100 im Stadtgebiet verteilten Altkleidercontainer entsorgt werden. Auch die AWS stellt trotz neuer EU-Verordnung klar: Stark zerschlissene oder verdreckte Textilien sollen in Stuttgart weiterhin in der Restmülltonne entsorgt werden.
Die Technischen Betriebsdienste Reutlingen (TBR) arbeiten momentan an einem Entsorgungskonzept für alle nicht mehr verwertbaren Textilien, so der stellvertretende Leiter Matthias Kuster. Die Stadt erwäge, externe Firmen mit der Sortierung der bestehenden Altkleidercontainer zu beauftragen. Zusätzlich könnten alle ihre Altkleidung am Wertstoffhof am Reutlinger Schinderteich abgeben. Dort würden die Mitarbeiter dann entscheiden, welche Kleidung wiederverwertbar sei und welche beispielsweise als Ersatzbrennstoffe verwertet werden könnten. Die Reutlinger Abfallwirtschaft habe laut Kuster nicht vor zu kontrollieren, ob Textilien in den Restmülltonnen entsorgt werden.
Was darf sonst noch ab 2025 nicht mehr in den Restmüll?
Neben dem Streitthema Textilien dürfen in Zukunft weder Bioabfälle, noch Kunststoffverpackungen, Abfälle aus Papier, Karton oder Pappe, Glas, Metalle, Elektroschrott, Batterien oder Bauschutt im Restmüll entsorgt werden. Wer dies trotzdem tut, riskiert Bußgelder. (GEA)