STUTTGART/TUTTLINGEN. Noch im Dezember könnte in Deutschland mit Massenimpfungen gegen das Covid-19-Virus gestartet werden. Dafür müssen umfangreiche Vorbereitungen getroffen werden, denn das gab es in dieser Dimension noch nicht. Alleine die Unternehmen Biontech/Pfizer wollen noch in diesem Jahr weltweit bis zu 50 Millionen Impfstoffdosen ausliefern. Im kommenden Jahr werden es bis zu 1,3 Milliarden sein. Die Verteilung des Impfstoffes alleine in Deutschland und Baden-Württemberg ist eine logistische Mammutaufgabe. Ein Überblick, was alles an Logistik erforderlich ist.
- Wie soll die Bundeswehr dabei helfen?
Die Verteilung wird eine gewaltige logistische Operation. Das können die Hersteller alleine überhaupt nicht bewältigen. Deshalb sollen Impfstoffe auch in geschützten Bundeswehr-Liegenschaften zwischengelagert und von dort aus an die geplanten rund 60 Impfzentren in Deutschland verteilt werden, bei der die Soldaten gleichfalls helfen werden.
- Was macht die Verteilung der Biontech-Impfstoffe so schwierig?
Die sogenannten RNA-Impfstoffe von Biontech müssen bei Temperaturen von minus 70 Grad Celsius gelagert werden. Sie sind sehr temperaturempfindlich. Möglicherweise muss auch der Impfstoff des Herstellers Moderna stark gekühlt werden. Das Tübinger Unternehmen Curevac ist da im Vorteil. Der Impfstoff kann in einem normalen Kühlschrank gelagert werden.
- Warum liegen die Temperaturen so niedrig?
Die schnelle Entwicklung führt dazu, dass die Entwickler nicht so genau darüber Bescheid wissen, wie haltbar das Medikament tatsächlich ist. Die Gefahr besteht, dass es seine Wirksamkeit verliert. Die Hersteller gehen auf Nummer sicher, indem sie besonders niedrige Temperaturen für die Lagerung und den Transport vorgeben.
- Wie können die Impfdosen bei solch niedriger Temperatur gelagert werden?
Dafür werden spezielle Ultrakühlschränke benötigt. Diese stellen nur wenige Unternehmen auf der Welt her. In Deutschland ist das die mittelständische Binder GmbH aus Tuttlingen mit ihren sogenannten Freezern.
- Wie funktionieren diese besonderen Kühlschränke aus Tuttlingen?
Sie sind wesentlich besser isoliert und werden mit anderen Kühlmitteln betrieben als herkömmliche Kühlschränke. Weil diese Freezer empfindliche Substanzen bewahren, haben sie eine Notstromversorgung und eine CO2-Notkühlung, die batteriegepuffert ist und im Notfall bis zu drei Tage überbrücken können soll.
- Wie viele dieser Kühlschränke werden in Deutschland benötigt?
In solch einem Spezialkühlschrank könnten laut Binder bis zu 40 000 Impfdosen Platz finden. Pro vorgesehener Impfstation werden vermutlich zehn solcher Schränke benötigt, die bis zu 40 000 Euro kosten. Bei der Firma liegen schon etliche Aufträge aus den Bundesländern vor, auch aus Baden-Württemberg. Firmenchef Peter Michael Binder hatte schnell erkannt, dass da ein größerer Bedarf an seinen Kühlschränken notwendig werden könnte und die Produktion frühzeitig hochgefahren. Alleine in Deutschland dürften mehr als 2 500 solcher Schränke notwendig werden.
- Wie wird der Impfstoff vom Hersteller zu den Zwischenlagern und zu den Impfzentren transportiert?
Dafür gibt es isolierte Transportboxen, die mit Trockeneis gekühlt werden. Je nachdem können sie den Impfstoff bis zu 90 Stunden kühlen. Dann muss er wieder im Ultrakühlschrank liegen. Von den Zwischenstationen aus geht der Impfstoff erneut in Transportboxen zu den Impfzentren und dort erneut in die Superkühlschränke. Bei längeren Fahrten per Schiff, Lkw oder mit dem Zug werden auch dort die Spezialkühlschränke benötigt. Das gilt vor allem dann, wenn der Impfstoff ins Ausland und auf andere Kontinente geht. Auf solche Transportbehälter für extreme Temperaturen ist das Würzburger Unternehmen Va-Q-tec spezialisiert. Die Behälter und Flugzeugcontainer der Firma werden bereits für den Transport von Covid-19-Testkits benutzt.
- Die Bundeswehr alleine wird die Transporte nicht meistern können. Wer also noch?
Bei den großen Transportunternehmen bereitet man sich schon darauf vor. Zahlreiche Impfstoffe werden derzeit entwickelt oder stehen vor der Zulassung. Sie alle wollen verteilt sein. Die Post-Tochter DHL hat dazu zusammen mit dem Beratungsunternehmen McKinsey & Company eine Studie erstellt. Für eine erste weltweite Abdeckung werden in den nächsten beiden Jahren für zehn Milliarden Impfstoffdosen rund 15 000 Flüge weltweit notwendig werden. Die Impfstoffe werden, so die Studie, auf 200 000 Paletten angeliefert. Für diesen Versand seien 15 Millionen spezielle Kühlboxen nötig.
- Der Impfstoff selbst wird in Spezialfläschchen gefüllt. Was ist das Besondere daran und woher kommen sie?
Der Mainzer Spezialglashersteller Schott produziert solches Glas. Das Besondere an einem Schott-Impfstoff-Fläschchen ist das hochreine Glas. Dabei handelt sich um Borosilikatglas, das Firmengründer Otto Schott 1887 erfunden hatte. Bei Schott läuft die Produktion der Ampullen schon seit Monaten auf Hochtouren. Viele Unternehmen hätten bereits wegen der Gläschen angefragt, darunter die Mainzer Firma Biontech, die quasi Nachbar ist.
- Für den Transport dieser sensiblen Impfstoffe gelten spezielle Regeln. Was muss noch alles beachtet werden?
In Europa gilt die »Good Distribution Practice of medicinal products for human use« beim Transport von Humanarzneimitteln. Nach diesen Leitlinien muss nicht nur die Kühlkette gewährleistet sein, sondern auch der Schutz vor Diebstahl. Da wäre dann eventuell wieder die Bundeswehr Ansprechpartner. (GEA)