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Sie hat Nazis, DDR und Wende erlebt: Älteste Deutsche stirbt mit 114 Jahren

Charlotte Kretschmann hat auf ihrem Weg durchs Leben und bis ins Seniorenheim südöstlich von Stuttgart alle hinter sich gelassen. Im Alter von 114 Jahren ist die wohl älteste Deutsche nun gestorben.

114-Jährige gestorben
Die wohl älteste deutsche Frau, Charlotte Kretschmann aus Baden-Württemberg, ist im Alter von 114 Jahren in einem Seniorenheim gestorben. (Archivbild) Foto: Julian Rettig/DPA
Die wohl älteste deutsche Frau, Charlotte Kretschmann aus Baden-Württemberg, ist im Alter von 114 Jahren in einem Seniorenheim gestorben. (Archivbild)
Foto: Julian Rettig/DPA

KIRCHHEIM. Die Menschen in Deutschland werden zunehmend älter. Charlotte Kretschmann hat da keinen Unterschied gemacht - und doch war sie eine Ausnahme. Denn sie galt als die älteste Frau und wohl auch als der älteste Mensch in Deutschland.

Ihr Leben? Wie ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch, satte 114 Jahre voller Erinnerungen und Erlebnisse. Auf ihrem Weg durchs Leben und bis ins Seniorenheim in Kirchheim unter Teck südöstlich von Stuttgart ließ sie alle anderen hinter sich. Nun ist sie dort nach Angaben Ihres Enkels Peter Baur friedlich gestorben. 

Das hohe Alter? Den Rekord? Das hat Kretschmann vollkommen entspannt gesehen. »Wissen Sie, ich hab mir das ja nicht ausgesucht. Ich kann da nichts für. Jeder Mensch kann den nächsten Tag erleben, da muss er selbst gar nichts für tun«, sagte sie noch im stolzen Alter von 113 Jahren in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Ein Alter, das man ihr nicht ansah. Charlotte Kretschmann wohnte bis vor einigen Jahren noch alleine, sie las auch im hohen Alter noch Zeitung, trank gerne mal ein Glas Rotwein zum Essen und liebte Schokolade. Nur der Rollstuhl machte ihr zuletzt zu schaffen.

Zeugin der Geschichte

Viel Trauriges hat sie erlebt und viel Schönes, erinnerte sich »Lotte« Kretschmann im Gespräch. Weltkriege hat sie durchlitten und Wirtschaftskrisen erduldet, sie hat die Teilung Deutschlands ebenso bedauert, wie sie die Wiedervereinigung in Deutschland gefeiert hat, hat Währungen kommen und gehen sehen. Und selbst das Coronavirus hat sie nicht umgeworfen. Das Geheimnis für solch ein langes Leben? »Der Sport war's«, sagte sie. »Die Bewegung selbst im Winter. Aber sicher auch meine glückliche Kindheit.« 

Im Jahr 1909 in Breslau im heutigen Polen wurde sie geboren, 17 Jahre, bevor Queen Elizabeth II. zur Welt kam, 5 Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ihren Mann Werner lernte sie im Sportclub Schlesien kennen. Beide waren Läufer, sie über 200 und 800 Meter, er über 100 Meter. Sie tanzten oft zusammen, eine »Liebe auf den ersten Blick«, wie Charlotte Kretschmann später sagte. Eine Liebe auch, die im Zweiten Weltkrieg getrennt wurde. Denn bei Hitlers Machtergreifung war sie 23 Jahre alt. Werner wurde als Soldat nach Frankreich und dann in den Osten einberufen, Kretschmann flüchtete mit der gemeinsamen Tochter nach Westen. Das Paar fand sich nach dem Krieg über das Rote Kreuz wieder und ließ sich in Stuttgart nieder.

Schwerer Abschied

Ihren Mann und die Tochter hat Charlotte Kretschmann überlebt. Bis vor wenigen Jahren wohnte sie auch noch allein, nach einer Hirnblutung entschied sie sich dann, ins Heim zu ziehen. »Der Herrgott hat das nicht gut gemacht«, sagte Kretschmann damals. »Zum Schluss müsste es einem ja eigentlich gutgehen, aber es geht einem immer schlechter.« 

Kretschmann, die mit Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann nicht verwandt ist, machte das Beste daraus, sie achtete auch im Alter auf ihr Äußeres, alle zwei Wochen ging sie zum Friseur, trug lackierte Nägel und Parfüm. »Die Eitelkeit hab ich mir bewahrt«, sagte sie. »Darauf will ich im Alltag nicht verzichten.«

Aktiv in den sozialen Medien

Und bis wenige Monate vor ihrem Tod ließ sie auch die Welt über die sozialen Medien an ihrem Leben teilhaben: Die letzte Geburtstagsparty im Rathaus, ein Foto vom Shoppen oder von der neuen Frisur, Erinnerungen ans Weihnachtsfest und ein Schnappschuss mit dem Hund - mit ihren zuletzt 14.000 Followern teilte die 114-Jährige immer mal wieder Fotos aus ihrem Leben. Ihr Enkel half ihr dabei.

Gedanken an den Tod? Die hatte Charlotte Kretschmann nach eigener Aussage nicht oft. »Das bringt ja nichts, irgendwann kommt es einfach - und ich kann am wenigsten etwas dafür.« (dpa)