REUTLINGEN. Heimspiel für den Doppelminister: Mit großem Beifall begrüßten die baden-württembergischen Grünen am Samstag Cem Özdemir in der Reutlinger Stadthalle. Der designierte Spitzenkandidat für die kommende Landtagswahl läutete mit seiner Rede den zweitägigen grünen Parteitag ein - und brachte seine Parteifreunde vor Beginn seiner Rede zum Schmunzeln als er sagte: »Als Schwabe muss ich sagen: Ich hab doch noch gar nix gschafft!«
»Mit Reutlingen verbindet mich viel. Auch emotional«, begann Özdemir seinen Auftritt. Der gebürtige Bad-Uracher bezeichnete die Stadt unter der Achalm, das Tor zur Schwäbischen Alb, als sein »Tor ins Erwachsenenleben«. In seiner ersten großen Rede seit Ankündigung seiner Kandidatur betonte Özdemir die Notwendigkeit der Innovation, konnte es sich aber nicht verkneifen, auch gegen politische Gegner auszuteilen.
Er wolle zwar von diesem Podium aus der CDU und auch der SPD »sehr, sehr gerne ein parteiübergreifendes Zukunftsbündnis anbieten, das Fortschritt, Digitalisierung und Leistung nach vorne stellt«. Was aber auf keinen Fall wieder passieren dürfe: ein weiterer Verkehrsminister der CSU.
»Mit Reutlingen verbindet mich viel. Auch emotional.«
Auch auf die AfD und das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) nahm Özdemir Bezug, wenn er auch die Parteien nicht namentlich nannte: Wer im Team Putin spiele, dürfe in einer Bundesregierung nicht auch nur in die Nähe von Verantwortung kommen. Özdemir forderte mit Blick auf die Bundestagswahl von den demokratischen Parteien mehr Kompromissbereitschaft. Von den Grünen forderte er mehr Offenheit für Marktanreize. Als Beispiel nannte Özdemir den Emissionshandel. Die SPD müsse sich dagegen von einer reinen »Transfer-Sozialpolitik« lösen, von der CDU verlangte er mehr Offenheit für eine Reform der Schuldenbremse.
Özdemir erhielt immer wieder viel Zustimmung in der Reutlinger Stadthalle. Auf den Satz, er habe sich entschieden, bei den Landtagswahlen 2026 als Kandidat für das Ministerpräsidentenamt anzutreten, und habe vor, die Wahl auch zu gewinnen, reagierten die Landesgrünen geradezu euphorisch. Am Ende seiner Rede erhielt Özdemir minutenlangen Beifall und Standing Ovations. Cindy Holmberg, Abgeordnete für den Wahlkreis Hechingen-Münsingen, sprach von einer »großartige politische Rede«, die es geschafft habe, neben dem Blick auf die Bundespolitik, die Großartigkeit, die Bedeutung und die Innovationskraft des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg herauszuheben. »Cem Özdemir hat klar gemacht, dass er alles dafür tun wird, dass dies auch in Zukunft so bleibt«, so Holmberg. Auch Thomas Poreski, Abgeordneter aus Reutlingen, zeigte sich von Özdemirs Rede überzeugt: »Cem Özdemir hat erneut gezeigt, dass er das Zeug zum Ministerpräsidenten hat. Er hat eine tolle und hoch motivierende Rede gehalten, bei der alles stimmte.«
»Ich bin verdammt froh, dass Cem es macht.«
Die Grünen im Südwesten wollten sich am Wochenende nicht nur startklar für den Bundestagswahlkampf machen, sie wollten vor allem auch Geschlossenheit demonstrieren. Denn sie wissen: Nur gemeinsam können sie im anstehenden Winter-Wahlkampf erfolgreich sein. Freundschaftsbändchen wurden wie beim Bundesparteitag der Grünen in Wiesbaden vor wenigen Wochen in Reutlingen zwar keine geknüpft, ein paar Delegierte hatten aber vorsorglich ihre Stricksachen mitgebracht.
Überraschungen bei der Listenaufstellung am Samstag gab es zumindest auf den vorderen Plätzen dann keine. Die Landesliste anführen werden die neue Co-Bundesvorsitzende Franziska Brantner und ihre Vorgängerin im Amt der Parteichefin, Ricarda Lang. Die Delegierten wählten Brantner mit 92,35 Prozent der Stimmen zu ihrer Spitzenkandidatin. »Das ist ein bombastisches Ergebnis«, sagte die 45-Jährige nach der Wahl. Brantner hatte in ihrer Rede eine Modernisierung des Landes in den Vordergrund gestellt, dafür ein »digitales Deutschland« gefordert.
Ricarda Lang wurde mit 94,36 Prozent auf Platz 2 der Landesliste gewählt. Sie hatte zuvor mit einer starken, frei gehaltenen Rede die Delegierten von sich überzeugt. »Wir müssen mit Selbstbewusstsein, aber auch mit Kritikfähigkeit um die Köpfe und Herzen der Menschen kämpfen«, sagte sie und erinnerte ihre Parteifreunde an die Sorgen der Menschen um deren Arbeitsplätze. Lang machte zum Schluss aber auch mit Blick auf ihre eigene Person klar: »In mir steckt noch unfassbar viel Kraft. Ich habe noch nicht fertig.«
»Wir sind enttäuscht. Enttäuscht davon, was hier gestern passiert ist.«
Am Wochenende war bei den Grünen dann aber doch nicht alles eitel Sonnenschein. »Wir haben gestern eine fulminante Bundestagsliste aufgestellt«, verkündete der Landesvorsitzende Pascal Haggemüller noch zu Beginn der Landesdelegiertenkonferenz (LDK) am Sonntag. Doch kurze Zeit später trat die Co-Landesvorsitzende der Grünen Jugend, Tamara Stoll, ans Mikrofon. »Wir sind enttäuscht«, sagte sie. »Enttäuscht davon, was hier gestern passiert ist.« Es sei schade, »dass wir Menschen, die sich für diese so wichtige Gruppe in unserem Land - für junge Menschen - einsetzen, gestern so schmerzhaft abgewiesen wurden«, sagte Stoll und bekam dafür viel Beifall. Trotz aller Enttäuschung wolle die Grüne Jugend in den kommenden Wochen aber dabei helfen, einen Kanzler Friedrich Merz zu verhindern.
Am Vortag war die Kandidatin der Grünen Jugend, Sarah Heim, bei Kandidaturen für die aussichtsreichen Listenplätze neun und zehn gescheitert und am Ende auf Platz 23 gelandet. Bei der letzten Bundestagswahl hätte dieser Platz nicht für einen Einzug ins Parlament gereicht. Der Kandidat aus Reutlingen, Jaron Immer, landete auf Platz 18.
Jaron Immer auf Listenplatz 18 gewählt
Für den 19-jährigen Bundestags-Kandidaten aus Reutlingen Jaron Immer reichte es bei der Aufstellung der Landesliste am Samstag in der Stadthalle am Ende für Platz 18. »Ich freue mich sehr über dieses Vertrauen als jüngster Bundestagskandidat von Bündnis 90/Die Grünen«, sagte Immer dem GEA. Mit Platz 18 gebe es eine gute Chance auf den Einzug in den Bundestag, zeigt sich der Reutlinger überzeugt. »Jetzt gehen wir bei uns im Landkreis hochmotiviert in den Wahlkampf.«
Ministerpräsident Winfried Kretschmann gab sich am Sonntag bei seinem Auftritt erleichtert: »Ich bin verdammt froh, dass Cem es macht«, sagte Kretschmann zur Kandidatur Özdemirs. Der Bundesminister sei aus »echtem Ministerpräsidenten-Holz« geschnitzt. Kretschmann versuchte aber auch Zuversicht zu verbreiten: »Keine andere Partei verzeichnet gerade so hohe Zuwächse wie wir. Das ist ein richtig starkes Signal und diesen Rückenwind nehmen wir gerne mit«, so der Ministerpräsident. Vor 15 Jahren habe kaum einer gedacht, dass die Grünen den nächsten Ministerpräsidenten stellen würden. Und doch sei er der erste grüne Ministerpräsident des Planeten geworden, sagte Kretschmann. »Ich bin überzeugt: Cem kann der zweite grüne Ministerpräsident werden.« (GEA)