STUTTGART. Kaum hat die grün-schwarze Landesregierung sich darauf geeinigt, neue Schulden zu machen, hagelt es Kritik von allen Seiten: Die FDP will gegen den Nachtragshaushalt klagen. Die SPD spricht von einer »herben Ohrfeige« für den neuen Grünen-Finanzminister Danyal Bayaz. Und die AfD bezeichnet den geplanten Etat sogar als »Sündenfall«. Mit weniger politischem Furor, dafür aber mit großer Durchschlagskraft hat am Montag der Landesrechnungshof in die Schelte eingestimmt. Er hält eine erneute Schuldenaufnahme für verfassungswidrig.
Im Kern geht es darum, dass Grün-Schwarz für das Jahr 2021 weitere 1,2 Milliarden Euro Kredit aufnehmen will. Das verbietet eigentlich die in der Landesverfassung verankerte Schuldenbremse. Doch die Koalition beruft sich auf eine Ausnahmeklausel und deklariert dafür die Corona-Krise als Naturkatastrophe. Diese Argumentation weist der Rechnungshof zurück. Er führt stattdessen 3,2 Milliarden Euro Überschuss aus dem Jahr 2020 an, die für Corona-bedingte Ausgaben zur Verfügung stünden. Dieser bereits vorhandene finanzielle Puffer, so der Rechnungshof, mache weitere Schulden unnötig. Hier die Debatte im Detail:
Wie rechtfertigt das Finanzministerium neue Schulden?
Finanzminister Danyal Bayaz will trotz der massiven Kritik am Nachtragsetat festhalten und ihn am Mittwoch im Landtag beschließen lassen. »Die Finanzlage des Landes ist nach wie vor extrem belastet«, teilte das Ministerium auf Anfrage mit. Es sei – anders als vom Rechnungshof dargestellt – nicht möglich, den Überschuss aus dem Jahr 2020 einzusetzen, um im Nachtrag ohne Kredite auszukommen. »Wie hoch der Überschuss tatsächlich ist, wissen wir aktuell noch nicht«, hieß es. Das Plus werde erst Ende des Jahres festgestellt. »Wir werden den Überschuss deshalb erst für den Haushalt 2022 einsetzen.« Für den Etat 2022 hatte Grün-Schwarz schon angekündigt, ohne neue Schulden auskommen zu wollen. Die Eckpunkte sollen heute, Dienstag, im Kabinett beschlossen werden.
Warum halten die Rechnungsprüfer neue Schulden für verfassungswidrig?
Rechnungshof-Präsident Günther Benz hält es zwar für richtig, dass das Land sich im Doppelhaushalt 2020/2021 einen Puffer von 940 Millionen Euro für mögliche weitere Folgen der Corona-Krise schafft. Doch seien dafür keine neuen Schulden nötig. »Die kann man finanzieren, weil es in der Schublade ist.« Es sei nicht überzeugend, wenn das Land argumentiere, das Plus sei noch nicht formal festgestellt. Haushaltsrechtlich sei es sehr wohl möglich, die Überschüsse zu nutzen, erklärte Benz. Mit den neuen Schulden verlasse Grün-Schwarz den »Pfad der Tugend«.
Wenn die Regierung wegen Corona erneut die Ausnahmeklausel der Naturkatastrophe bei der Schuldenbremse nutzen wolle, müsse sie auch nachweisen, dass die Landesfinanzen insgesamt beeinträchtigt seien. »Wir glauben das nicht«, erklärte Benz. Zum Jahresende 2020 habe das Land durch anziehende Steuereinnahmen einen Kassenüberschuss von 3,2 Milliarden Euro erzielt. Die Regierung könne deshalb die benötigten 940 Millionen Euro hier entnehmen.
»Eigentlich erfordert die Schuldenbremse diese Finanzierung und damit den Verzicht auf neue Schulden«, erklärt Benz seine Position. »Das Vorhalten von kreditfinanzierten Rücklagen als allgemeine Reserve ist von den Ausnahmeregeln der Schuldenbremse nicht legitimiert.« Ausgaben müssten daran ausgerichtet werden, »was notwendig und nicht was wünschenswert ist«, mahnte Benz und rief die Koalition zu einem rigiden Sparkurs auf.
Über welche finanziellen Reserven verfügt das Land noch?
Das Finanzministerium hatte den Überschuss aus dem Jahr 2020 in internen Unterlagen für die Aufstellung des Haushalts 2022 auf 2,6 Milliarden Euro beziffert. Benz sagte: »Wir gehen davon aus, dass die 2,6 Milliarden Euro ein valider Wert sind.« Grün-Schwarz müsse diesen Spielraum jetzt als Alternative zu weiteren Notlagen-Krediten nutzen.
Eine weitere Möglichkeit des Landes zur Konsolidierung besteht laut Rechnungshof-Präsident Benz darin, die Ausgabereste im Haushalt aufzulösen. Diese seien 2019 gegenüber dem Vorjahr um 777 Millionen Euro auf 6,4 Milliarden Euro gestiegen.
Wie hoch ist das Land bereits verschuldet?
Grün-Schwarz hat wegen Corona im Doppelhaushalt 2020/2021 schon 13,5 Milliarden Euro neue Kredite aufgenommen. Durch die aktuell geplanten, zusätzlichen Kredite würde der Altschuldenberg auf fast 60 Milliarden Euro anwachsen.
Wofür will die Regierung das Geld ausgeben?
Die Regierung will sich mit dem Nachtrag vor allem für den unsicheren Verlauf der Corona-Krise wappnen und die Folgen bei Kommunen und Unternehmen abmildern. Aus der Rücklage sollen unter anderem der Weiterbetrieb von Impf- und Testzentren sowie denkbare weitere Hilfsprogramme finanziert werden, aber auch der Rettungsschirm für den Öffentlichen Nahverkehr. Zudem mussten die Kosten der Regierungsbildung, etwa das neue Bauministerium und die vier zusätzlichen Posten für Staatssekretäre, im Haushalt abgebildet werden.
Grün-Schwarz hat im Regierungsapparat neue Posten geschaffen. Ist das zeitgemäß?
Der Rechnungshof-Präsident bemerkte hierzu, die Regierung müsse selbst darüber nachdenken, ob dies in die Zeit passe. Es gehe jedoch nicht an, dass Grün-Schwarz immer neue Stellen schaffe. Die Grünen unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann haben seit 2011 den Regierungsapparat um etwa 1 100 Stellen auf 4 000 aufgestockt. Benz forderte: »Ich muss gucken, dass ich mit dem vorhandenen Personal auskomme.« Er sprach sich aber dagegen aus, die Besoldung der Beamten zu beschneiden. Der Öffentliche Dienst müsse attraktiv bleiben, sonst gehe der Nachwuchs in die freie Wirtschaft.
Was hält die Opposition von den Finanzplänen der Regierung?
FDP, SPD und AfD sehen sich durch den Rechnungshof bestätigt. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagte: »Es ist erfreulich, dass der Rechnungshof unsere Einschätzung teilt: Dieser Haushalt ist nicht nur politisch unangemessen, sondern grob verfassungswidrig. Wir werden vor dem Landesverfassungsgericht dagegen vorgehen.« SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sagte: »Wir fordern die Landesregierung auf: Nehmen Sie diesen verfassungswidrigen Haushaltsentwurf vom Tisch.« Für die AfD erklärte Rainer Podeswa: »Der Landesrechnungshof sieht den dritten Nachtragshaushalt zurecht als den Sündenfall der grün-schwarzen Landesregierung.« (dpa / GEA)