RAVENSBURG/PFRONSTETTEN. Systematisch soll die Familie des ehemaligen Pfronstetter Bürgermeisters Michael Waibel im oberschwäbischen Weingarten ihre Nachbarn ausspioniert haben. Vor Gericht beteuern alle vier Mitglieder ihre Unschuld. Dann gibt es ein Urteil.
Weil sie über mehrere Jahre hinweg in Weingarten ihre Nachbarn belästigt und ausgespäht haben, sind Michael Waibel und seine Familie am Donnerstag vom Amtsgericht Ravensburg zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt worden.
Gemeinschaftliche Nachstellung
Das Elternpaar und seine beiden erwachsenen Töchter waren unter anderem wegen gemeinschaftlicher Nachstellung und Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes angeklagt. Mit dem Urteil geht nicht nur für das Amtsgericht ein überaus ungewöhnlicher Prozess zu Ende. Mehr als 100-mal war die Polizei in den vergangenen 13 Jahren wegen des ausgeprägten Nachbarschaftsdisputs in Weingarten ausgerückt. Dutzende Strafanzeigen soll die Familie gestellt haben.
Kameras und Datenspeicher
Nach Aussage von Zeugen sollen schon Nachbarn wegen der Familie umgezogen sein, andere sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft in psychologischer Behandlung. Nachbarn sprechen in Interviews von »psychischem Terror«. Die Familie soll es sich mit nahezu der gesamten Nachbarschaft verscherzt haben.
Bei einer Durchsuchung im Februar 2023 hatte die Polizei zahlreiche installierte Videokameras auf dem Grundstück der Familie Waibel beschlagnahmt. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft sollte die Nachbarschaft damit beobachtet und mögliche Vergehen angezeigt werden. Außerdem fanden die Beamten zahlreiche Datenspeicher und etwa 400 Liter Benzin. Michael Waibel und seine Frau sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft bereits vorbelastet. Vor Gericht hatte sich die Familie bis zum Schluss vehement gegen die Vorwürfe gewehrt und eine andere Sicht der Dinge vertreten. Demnach gehörten ihre Nachbarn auf die Anklagebank und nicht sie.
Stundenlange Schlusswörter
In einer mehr als vierstündigen Abschlussrede wiesen alle vier angeklagten Familienmitglieder die Vorwürfe zurück. Sie seien die Opfer, nicht die Täter. Von ihren Nachbarn würden sie schon seit Jahren belästigt. »Wir sind Christen und werden sehr verfolgt von unseren Nachbarn. So sieht der Sachverhalt aus«, sagte die Mutter und betonte, sie seien unschuldig.
Ihre 25-jährige Tochter erklärte, dass sie mit Feuerfackeln verfolgt würden. Die Nachbarskinder würden angestiftet, mit Wasserpistolen auf ihr Haus zu schießen. Ein etwa 1,40 Meter hoher Penis aus Schnee sei vor ihrer Auffahrt aufgestellt worden. Die Schwestern fühlten sich von den Nachbarn auch sexuell belästigt.
Dass die Schlussworte der Familie Zeit in Anspruch nehmen würden, konnte man schon erahnen, als die vier in den Gerichtssaal kamen. Alle hatten Sitzkissen dabei, mehr als vier Liter Wasser, stapelweise Redemanuskripte und zig sogenannte Beweisbücher, die das Stalking der Nachbarn beweisen sollten. Vor Gericht wurden auch Fotos gezeigt.
Der Richter ließ sich davon nicht beeindrucken. Die Angeklagten würden die Schuld bei anderen suchen, der Impuls sei aber von ihnen gekommen. »Was läuft da falsch bei ihnen?«, fragte er.
Er verurteilte die Eltern schließlich zu je neun Monaten Haft auf Bewährung, außerdem zu jeweils 100 Sozialstunden. Die beiden Töchter bekamen Geldstrafen von 80 und 90 Tagessätzen in Höhe von je 10 Euro. Das Urteil ist bisher nicht rechtskräftig. (dpa)