MANNHEIM. »Auch wir können keine Wunder vollbringen und es ist auch nicht immer einfach«, sagt Ute Schnebel. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin einer Bildungseinrichtung, die sich »Das andere Schulzimmer« nennt. Das Projekt führt Schulabbrecher zu einem Haupt- oder Realschulabschluss. Seit 2018 ist es in Mannheim für viele junge Menschen, die aus dem Schulsystem herausgefallen sind, die Rettung: »Das Besondere bei uns ist der individuelle Ansatz, wir stellen uns so gut wir können auf jede einzelne Schülerin, auf jeden einzelnen Schüler ein«, erklärt Schnebel. Die Zahlen bestätigen ihren Erfolg: In den letzten sechs Jahren haben hier gerade mal drei Personen den Abschluss nicht geschafft. Von bisher 91 Schülern haben nun 88 einen Schulabschluss.
In diesem Schuljahr besuchen 28 junge Menschen die »alternative Bildungseinrichtung«, wie Schnebel das Projekt nennt, das als gemeinnützige Unternehmergesellschaft geführt wird. Platz haben sie eigentlich nur für 20. »Der Bedarf ist wesentlich größer. Ende letzten Schuljahres hatten wir über 100 Menschen auf unserer Warteliste«, berichtet die Leiterin. Zum Hintergrund: Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Schule jedes Jahr ohne Abschluss verlassen, steigt. Und in Baden-Württemberg steigt die Zahl im Vergleich zu anderen Bundesländern sogar besonders stark. 2022 haben 6,9 Prozent aller Schulabgänger keinen Abschluss gemacht. Das sind knapp 7.000 Personen. Zehn Jahre zuvor waren es noch 4,3 Prozent. Mannheim ist die Stadt in Baden-Württemberg, in der es neben Pforzheim und Heilbronn die meisten Schulabbrecher gibt.
Psychische Belastungen, Mobbing-Erfahrungen und instabile Familienverhältnisse
Die jungen Menschen, die bei Schnebel und ihrem Team landen, sind zwischen 15 und 27 Jahren alt. Nur, wenn es im Regelschulsystem für sie keine Chance mehr gibt, können sie im »anderen Schulzimmer« aufgenommen werden. Doch wer sind diese jungen Menschen und warum sind sie aus dem Schulsystem herausgefallen? »Dafür gibt es ganz unterschiedliche Gründe«, erklärt Schnebel. »Ganz häufig sind es psychische Belastungen oder Erkrankungen, die einen regelmäßigen Schulbesuch erschweren.« Häufig kämen ihre Schüler auch aus instabilen Familienverhältnissen, sozial Benachteiligte seien bei Schulabbrechern deutlich häufiger vertreten. Und: Fast alle haben Mobbing-Erfahrungen in der Schule gemacht. Am Ende kämen aber meist viele Probleme zusammen.
Dem Schulabbruch voraus gehe oft das Fehlen im Unterricht, auch Schulabsentismus genannt. »Viele Schulabbrecher verlieren irgendwann die Anbindung an die Schule«, so Schnebel. Die Abwesenheit verstärke vorhandene Ängste, einmal aus dem System gefallen, sei es für die meisten schwer, wieder Anschluss zu finden. »Man müsste besser und vor allem schneller hinschauen, Schulabstinenz eng mit dem Elternhaus und der Schulsozialarbeit bearbeiten«, ist Schnebel überzeugt.
Vertrauen der Schüler als Grundlage
Was sie in ihrem Schulzimmer anders machen? »Wir gehen auf die Schüler ein, holen sie da ab, wo sie stehen. Außerdem arbeiten wir in einer sehr familiären Atmosphäre auf Augenhöhe.« Regelmäßige Reflexionsgespräche, kleine Arbeitsgruppen, Lernzeiten vor Ort, Workshop-Angebote und ein stetiger Blick auf die Lebenssituation der einzelnen Schüler gehören für Schnebel und ihr Team zur täglichen Arbeit ganz selbstverständlich mit dazu. »Unsere Schüler haben Vertrauen zu uns. Das ist die halbe Miete. Zwar schaffen es nicht alle auf Anhieb durchzuhalten. Den Funken zu wecken und auch am Leben zu halten, das ist unsere Hauptaufgabe.«
Bevor sie ihren Abschluss machen, sind die Schüler im Schnitt zehn Monate im »anderen Schulzimmer«. Also rund ein Schuljahr. Sobald es auf die Abschlussprüfungen zugeht, werden Probeprüfungen durchgeführt. »Wir machen keinen Druck«, sagt Schnebel. »Meistens kommt der Druck von Schülerseite, weil sie ihren Abschluss möglichst schnell schaffen wollen.« Bevor sie allerdings überhaupt in das Projekt aufgenommen werden, müssen die jungen Menschen zwei Wochen im August in einer Sommerschule ihre Motivation unter Beweis stellen.
Viel Herzblut und ein Beitrag für die Gesellschaft
Das bisherige Angebot auszuweiten, mehr jungen Menschen eine Möglichkeit auf einen Schulabschluss zu ermöglichen, wäre Schnebels größter Wunsch. »Doch dazu bräuchten wir mehr finanzielle Unterstützung - und die Finanzierung unseres Projekts ist schon jetzt eine große und ständige Herausforderung.« Die Stadt Mannheim steuert derzeit 24.500 Euro im Jahr bei, »dafür sind wir dankbar, aber es reicht nicht einmal für die Mietkosten«. Der größte Teil wird über Spenden finanziert, hierzu gehören Förderungen durch Stiftungen oder Wettbewerbe. Die meisten Lehrkräfte arbeiten ehrenamtlich. »Hier steckt ganz viel Herzblut drin«, unterstreicht die Pädagogin und erinnert: »Wir tun hier auch etwas für die Gesellschaft. Auch das sollte im Blick behalten werden.«