HEIDELBERG. Auf dem schweren Holztisch mit den vielen Schubladen steht ein präparierter Kugelfisch, hinten am Schrank lehnt ein Einhorn, das in Wirklichkeit der Stoßzahn eines Narwals ist, und über dem Tisch schwebt sogar ein Krokodil. Was aussieht wie die Hexenküche des sagenumwobenen Zauberers Merlin ist tatsächlich das Mobiliar der Hofapotheke aus Bamberg um 1730. Zu sehen ist es im Deutschen Apothekenmuseum, das sich im Schloss Heidelberg befindet.
Das Museum zeigt die Entwicklung des Berufs des Apothekers und der Apotheken im Lauf der Geschichte. Das Wort Apotheke bezeichnet ursprünglich ein Lager oder einen Verkaufsraum. In Klöstern wurde ein Lagerraum für Heilkräuter als apotheca bezeichnet, bei den Römern wurde mit apotheca oft auch noch der Weinkeller bezeichnet. Im St. Galler Klosterplan aus dem 9. Jahrhundert ist eine Kräuterkammer bezeichnet, die als Vorläufer der heutigen Apotheken gilt. 1241 erließ der Stauferkaiser Friedrich II. das Edikt von Salerno, das die Berufe von Arzt und Apotheker trennte. Ärzte durften fortan keine Apotheke besitzen und keine Arzneimittel verkaufen. Das gilt heute noch, allerdings nicht in den ländlichen Regionen Österreichs. Um die Versorgung mit Arznei sicherzustellen, dürften in Orten, wo es keine anderen Apotheken gibt, Hausärzte eine sogenannte Ärztliche Hausapotheke führen. Sie dürfen aber nur an ihre eigenen Patienten Medikamente abgeben. Außerdem wurden im Edikt von Salerno die Preise für Arzneimittel gesetzlich festgelegt, um Wucher vorzubeugen.
Wie aber kommt das Krokodil in die Apotheke? In der frühen Neuzeit war es nicht üblich, dass Kunden die sogenannte Offizin, die Werkstatt des Apothekers betraten. Arzneien wurden durch ein Fenster verkauft. Der Kunde gab das Rezept des Arztes am Fenster ab und der Apotheker mischte in seiner Werkstatt die Arznei an. Fertige Arzneien gab es nicht. Während die Kunden am Fenster darauf warteten, dass der Apotheker seine Salben, Säfte und Tinkturen zusammenrührte, guckten sie ins geheimnisvolle Innere der Offizin.
Dabei waren seltsame exotische Objekte wie das präparierte Krokodil, der Kugelfisch und das Einhorn so positioniert, dass sie dem Kunden sofort ins Auge stachen. Je seltener und exotischer das Tier oder die Pflanze, desto stärker die Wirkung der daraus gefertigten Arznei, das war die Logik dahinter.
Apotheker, die sich als Wissenschaftler ausweisen wollten, stellten besonders gerne Exotisches in ihrer Offizin aus, darunter Gürteltiere, Schildkrötenschalen, Schlangen, Klauen von Elchen, Hörner von Nashörnern, Straußeneier, Korallen, Elfenbein, Perlmutter und Kokosnüsse. Auch Mumienteile waren in den »Kunst- und Wunderkammern« der Apotheker zu sehen – und wurden ebenfalls zu Heilmitteln verarbeitet, berichtet Dr. Monika Winkler-Kaufmann aus Innsbruck, die das Thema in ihrer Dissertation untersucht hat. Die zur Schau gestellten Natur-Schätze hätten auch der Demonstration der sozialen Stellung des Apothekers gedient und seien Ausdruck der Zugehörigkeit seiner Berufsgruppe zu den führenden Gelehrten der Zeit gewesen.
Als besonders mystisch und deshalb sehr wirkungsvoll galten auch Bezoare. So sollten sie vergiftete Getränke entgiften können – deshalb wurden sie besonders an den europäischen Fürstenhöfen dieser Zeit geschätzt, wo man sich nie sicher war vor vergiftetem Wein. Ein Bezoar ist ein Ball aus verschluckten, aber unverdaulichen Materialien von Beutetieren wie Haaren, der im Magen von Greifvögeln oder Katzen gebildet und dann ausgewürgt wird.
Heilmittel aus Exotika boomten besonders im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts. Als Folge der Entdeckung der Neuen Welt wuchs der Arzneimittelschatz beträchtlich. Dabei sei die Grenze zwischen Arzneidroge und sammelnswerter Rarität fließend gewesen, so Winkler-Kaufmann. Die Apotheker setzten sich zu dieser Zeit intensiv mit den neuen Materialien auseinander.
Opium hilft sofort und gegen alles
Ein im Mittelalter oft als Heilmittel gegen alle Krankheiten zusammengemischtes Rezept war Theriak. Auch gegen Pest, Cholera und Syphilis wurde er eingesetzt. Die Behandelten fühlten sich dann sofort besser – was vermutlich am Opium-Bestandteil des Theriak lag.
Bis ins 19. Jahrhundert finden sich in medizinischen und pharmakologischen Lehrbüchern die unterschiedlichsten Rezepturen für Theriak. Die »Pharmacopoea germanica« von 1882, die erste gesamtdeutsche Vorschrift für die Arzneibereitung, gibt zum Beispiel als Rezept an: 1 Teil Opium, 3 Teile spanischen Wein, 6 Teile Angelikawurzel, 4 Teile Schlangenwurzel, 2 Teile Baldrianwurzel, 2 Teile Meerzwiebel, 2 Teile Zitwerwurzel, 9 Teile Zimt, 1 Teil Kardamom, 1 Teil Myrrhe, 1 Teil Essigvitriol und 72 Teile Honig. Heute wird bezweifelt, dass Theriak eine echte Heilwirkung hat. Dennoch wird es noch immer hergestellt und in verschiedenen Rezepturen genutzt – allerdings ohne Opium.
Das Deutsche Apothekenmuseum geht auf die Sammlung von Walter Heinrici zurück, die auf Veranlassung des Reichsapothekenführers Albert Schmierer 1938 in das von ihm in München gegründete Museum überführt wurde. Schmierer, ein gebürtiger Esslinger, der in Tübingen studierte, war ein überzeugter Nationalsozialist. Auf ihn geht das rote gotische A als Logo für die Apotheken zurück, allerdings ersetzte nach dem Krieg eine Äskulapschlange mit Arzneikelch die Man-Rune. Vor und nach dem Krieg betrieb er eine Apotheke in Freudenstadt. Das Deutsche Apothekenmuseum war während des Krieges ab 1943 aus München ausgelagert, bevor das Gebäude im Krieg zerstört wurde. Nach dem Krieg war es zunächst in Bamberg, bevor es 1951 dauerhaft ins Heidelberger Schloss überführt wurde. (GEA)