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Aktuell Kriminalität

Das Videoauge hilft in Stuttgart Ermittlern in Bahnen und auf Bahnsteigen

Das Netz der Überwachungskameras bei der Bahn wächst. Die Polizei fasst deshalb in Stuttgart reichlich Straftäter.

Bei der Bundespolizei gilt die Auswertung der Videoüberwachung nicht nur in Bahnhöfen inzwischen als »unverzichtbar«.  FOTO: KOV
Bei der Bundespolizei gilt die Auswertung der Videoüberwachung nicht nur in Bahnhöfen inzwischen als »unverzichtbar«. FOTO: KOVALENKO/LICHTGUT
Bei der Bundespolizei gilt die Auswertung der Videoüberwachung nicht nur in Bahnhöfen inzwischen als »unverzichtbar«. FOTO: KOVALENKO/LICHTGUT

STUTTGART. Der Schulausflug in einer S-Bahn endet in einer Reizgaswolke. Ein Unbekannter hat in Bad Cannstatt in einer S 3 mit Pfefferspray 19 Schülerinnen und Schüler und deren Lehrer besprüht, die auf dem Weg zu einer Nachtwanderung sind. Das Reizgas greift Schleimhäute und Atemwege an. Der Täter, mit schwarzen Kopfhörern, rotem Kapuzenpullover und Adidas-Fischerhut, flüchtet an der Haltestelle Sommerrain. Was war sein Motiv? Kann der Angreifer doch noch ermittelt werden?

Für die Bundespolizeiinspektion Stuttgart ist der Fall, der sich Ende Juli in Stuttgart abgespielt hat, ein klassischer Fall für einen Blick in die Daten der Videoüberwachung. Die Bundespolizei nimmt polizeiliche Aufgaben auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes wahr, zum Beispiel auf den Bahnhöfen. »Für uns ist das inzwischen ein einfacher Ermittlungsansatz mit hoher Beweiskraft im Strafverfahren«, sagt der Bundespolizeisprecher Yannick Dotzek.

Immer mehr Daten ausgewertet

Mit steigender Tendenz: Etwas mehr als 600 Videodaten aus den S-Bahn-Zügen im Verkehrsverbund Stuttgart sind bereits in den ersten acht Monaten ausgewertet worden. Zum Vergleich: Die Marke des gesamten vergangenen Jahres liegt bei 800. Der inzwischen routinierte Zugriff auf die Kameras in 157 S-Bahn-Zügen und der Blick auf die 83 videoüberwachten Bahnsteige im Verbundgebiet der Region sind offenbar zunehmend erfolgreich – auch wenn Erfolgsquoten statistisch nicht erhoben werden. »Speziell geschulte Mitarbeiter der Bundespolizeiinspektion Stuttgart beschäftigen sich täglich mit der Auswertung von Videoaufnahmen«, sagt Dotzek, »der Einsatz der Technik hat sich unverzichtbar bewährt.«

Kommissar Videoauge half etwa bei der Ermittlung eines Exhibitionisten, der zu Jahresbeginn in einer S-Bahn der Linie 1 bei Kirchheim/Teck vor einer 13-Jährigen sexuelle Handlungen an sich vornahm. Tage später erkennt eine Zivilstreife den Mann aus den Videobildern wieder und nimmt ihn in Plochingen fest. Bis dahin war der 27-Jährige nicht polizeibekannt gewesen. Bei den Ermittlungen kommt heraus, dass er für drei weitere Sexualstraftaten in der Linie S 1 binnen sechs Wochen verantwortlich sein dürfte. Einen Tag vor der Festnahme in Kirchheim/Teck hat es schon einen anderen Ermittlungserfolg gegeben. Die Beamten nehmen einen 40-Jährigen fest, der sich in 13 Fällen in verschiedenen Zügen entblößt hat, auch vor einem Kind. Dabei wird auch sein Markenzeichen, ein Handy mit goldfarbener Hülle, sichergestellt. Beim Tötungsdelikt an der S-Bahn-Station in Weinstadt-Endersbach (Rems-Murr-Kreis) Anfang Juni konnte die Bundespolizei ihren Kollegen vom Polizeipräsidium Aalen Fotos vom Tatverdächtigen liefern. Ein wichtiger Beitrag zur Aufklärung der Tat, die von einem 17-Jährigen begangen worden sein soll. »Am häufigsten wurden in diesem Jahr Videodaten ausgewertet, die sich auf Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit beziehen«, sagt der Polizeisprecher Dotzek. »An zweiter Stelle stehen Eigentumsdelikte, knapp dahinter Sachbeschädigungen.«

Die Bahn AG hat bundesweit reichlich aufgerüstet: Bundesweit habe sich die Zahl der Videokameras in Regional- und S-Bahn-Zügen binnen zehn Jahren auf knapp 33 000 »nahezu verdreifacht«, erklärt ein Bahn-Sprecher. An Bahnsteigen habe sich die Zahl der Kameras in dieser Zeit auf 8 000 fast verdoppelt. In den nächsten vier Jahren solle die Zahl auf 11 000 ausgebaut werden. »Gleichzeitig bedeutet das mit neuen Kameras auch einen Qualitätssprung bei den Aufnahmen«, so der Stuttgarter Sprecher der Bahn AG. Bis Ende 2024 sollen alle großen Bahnhöfe mit neuer Videotechnik ausgestattet sein.

Bei der Stuttgarter Polizei nutzt vor allem das Raubdezernat Daten aus der Videoüberwachung – in Geschäften und Tankstellen. »Dabei werden auch Videos aus den Stadtbahnen genutzt«, sagt Polizeisprecher Stephan Widmann. Mittlerweile, mit mehrmonatiger Verzögerung, hat die Stadtverwaltung ihr Zukunftsprojekt einer erweiterten Überwachung auf dem Stuttgarter Schlossplatz gestartet – eine Folge der Krawallnacht von Juni 2020. Für weitere 20 Kameras an verschiedenen Standorten dürfte die Stadt über eine Million Euro investieren müssen.

Polizeibekannter Täter

Der Reizgasangriff auf die Schulklasse in einer S-Bahn auf Höhe Bad Cannstatt ist dann doch noch geklärt worden. Die Bilder von dem jungen Mann mit rotem Kapuzenpullover und Adidas-Fischerhut führten zu Hinweisen auf einen polizeibekannten jungen Mann. Ein 17-Jähriger. »Warum er das gemacht hat, ist aber unklar geblieben«, sagt Bundespolizeisprecher Dotzek.

Die Beamten haben lediglich in Erfahrung bringen können, dass er in einer Jugendschutzeinrichtung schon mal einen ähnlichen Reizgasangriff durchgeführt hat. Jetzt wird gegen den jungen Mann wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt, teilt die Polizei mit. Nicht zum ersten Mal. Mit mehreren Straftaten reicht der schlechte Ruf des Jugendlichen bis nach Hamburg. (GEA)