REUTLINGEN. Eine Welle betrügerischer Anrufe rollt derzeit über Deutschland hinweg. Auch GEA-Leser wurden bereits kontaktiert. Kriminelle geben sich dabei als Ermittler von Europol oder Interpol aus. In vielen Fällen hören Betroffene erst die automatische Ansage: »This is a message from the Federal Police Department«. Dann sollen sie eine Taste drücken, um mit einem Mitarbeiter verbunden zu werden. »Der versucht dann ein Gespräch zu führen, oft auf Englisch. Angeblich werde gegen die Angerufenen oder ihre Familienangehörige wegen Problemen mit Bankkonten, Ausweisen oder anderer Straftaten ermittelt. Wer keine Auskunft erteilt, wird mit Haftstrafe bedroht«, schreibt verbraucherzentrale.de auf ihrer Webseite.
Bei der Reutlinger Polizei ist dieses Vorgehen bekannt. »Das ist eine verbreitete Betrugsmasche, die es schon lange gibt. Ähnlich wie den Enkeltrick«, teilt Pressesprecher Christian Wörner auf GEA-Anfrage mit. Vergangene Woche seien rund 50 verdächtige Anrufe im Zuständigkeitsbereich des Reutlinger Polizeipräsidiums bekannt geworden. Man habe deshalb eine Warnung an die Bevölkerung herausgegeben. Trotzdem ist am Donnerstag eine Person beinahe Opfer geworden.
Verkäuferin bewahrt 30-Jährigen vor finanziellem Schaden
Laut Wörner habe ein 30-Jähriger in Ostfildern (Kreis Esslingen) Anrufe von zwei Kriminellen erhalten, die sich als Ermittler einer internationalen Polizeibehörde ausgaben. »Auf Englisch wurde ihm vorgegaukelt, dass unter seinem Namen mehrere Konten eröffnet wurden, über die strafbare Geldgeschäfte abgewickelt worden seien.« Anschließend sei er aufgefordert worden, mehrere Guthabenkarten eines App-Stores zu kaufen, um seine Unschuld zu beweisen.
Der Mann witterte den Betrug nicht und ging in einen Supermarkt, um die Karten zu erwerben. Zum Glück für ihn sei die Verkäuferin angesichts der Menge misstrauisch geworden. Als der Mann ihr erklärte, wofür seine Einkäufe bestimmt waren, habe sie ihn auf die Betrugsmasche hingewiesen und »finanziellen Schaden verhindert«, sagt Wörner.
Reutlinger Polizei: »Einfach auflegen«
Damit es erst gar nicht so weit kommt, rät die Reutlinger Polizei: »Wenn Interpol oder Europol anrufen, einfach auflegen und keine sensiblen Daten rausgeben« Beide sind Polizeibehörden, die ausschließlich mit anderen Polizeibehörden kommunizieren, sagt Wörner. »Die würden nie direkt bei jemandem zuhause anrufen. Das ist noch nie vorgekommen und wird auch nie vorkommen.« Auch die Polizei melde sich so gut wie nie telefonisch. Und wenn, dann würden die Beamten nicht nach Geld fragen, und sich auch nicht auf Englisch mitteilen. »Die Amtssprache in Deutschland ist deutsch.«
Die Fake-Anrufe sind kein lokales, sondern laut Bundeskriminalamt (BKA) ein bundesweites Problem. Die Ermittlung der Schadenssumme ist schwierig. Wie viele Personen bereits Opfer wurden, ist nicht bekannt. Allerdings gab es bezüglich der Betrugsmasche Stand Mittwoch bereits rund 10.000 Beschwerden, schreibt rbb24 unter Berufung auf die Bundesnetzagentur.
Gefälschte Telefonnummern
Doch wie kommen die Kriminellen überhaupt an die Telefonnummer? Laut Chaos Computer Club (CCC) kommen grundsätzlich zwei Möglichkeiten infrage. Die Nummern könnten aus legal erworbenen Adresslisten gezogen werden, oder von Adressregistern, die aus einem Dateneinbruch stammen. Möglich ist auch: »Sie probieren stumpf alle technisch möglichen Telefonnummern durch. Auf diese Weise gelangen die Betrüger auch an nirgendwo eingegebene oder veröffentlichte Telefonnummern«, wird CCC-Mitglied Jochim Selzer bei rbb24 zitiert.
Bei ihren Anrufen nutzen die Täter dann ein spezielles technisches Verfahren, das sogenannte Call-ID-Spoofing. Mithilfe von Internet-Telefonie-Anbietern gelingt es ihnen, dass den Angerufenen eine gefälschte Telefonnummer angezeigt wird. Diese kann dann tatsächlich zu Europol, Interpol oder einer deutschen Polizeidienststelle gehören, schreibt das BKA. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Anruf angenommen wird. Wer dann nicht gleich wieder auflegt und sich in ein Gespräch verwickeln lässt, hat laut Christian Wörner oftmals schon verloren. (GEA)