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Zurückhaltende Reaktionen auf Chinas Positionspapier

Mit Spannung wurde Chinas Friedensplan für die Ukraine erwartet. Jetzt liegt das Positionspapier vor. China fordert darin einen Waffenstillstand. Kiew sieht in der Initiative keinen Friedensplan.

Wang in Moskau
Russlands Außenminister Sergej Lawrow empfing am Mittwoch Wang Yi, den leitenden Außenpolitiker von China. Foto: Alexander Nemenov
Russlands Außenminister Sergej Lawrow empfing am Mittwoch Wang Yi, den leitenden Außenpolitiker von China.
Foto: Alexander Nemenov

China hat zu einem Waffenstillstand im Krieg gegen die Ukraine aufgerufen. In einem mit Spannung erwarteten PositionspapieR, veröffentlicht zum Jahrestag der russischen Invasion, wird eine baldige Wiederaufnahme von Verhandlungen gefordert. »Dialog und Verhandlungen sind die einzig machbare Lösung für die Ukraine-Krise.«

Das russische Außenministerium hat die Initiative Pekings begrüßt und gleichzeitig die eigenen Positionen für eine Beendigung der Kampfhandlungen bekräftigt. »Wir begrüßen den aufrichtigen Wunsch unserer chinesischen Freunde, einen Beitrag zur Lösung des Konflikts in der Ukraine mit friedlichen Mitteln beizutragen«, kommentierte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa. »Wir teilen die Überlegungen Pekings.«

Russland sei für eine politisch-diplomatische Lösung der »Ukraine-Krise« offen. Grundvoraussetzung sei jedoch ein Ende der westlichen Waffenlieferungen in die Ukraine, die Einstellung aller Kampfhandlungen und die Rückkehr der Ukraine zu einem neutralen, blockfreien Status. Daneben müssten die »neuen territorialen Realitäten« - also die völkerrechtswidrige Annexion mehrerer ukrainischer Gebiete durch Russland - anerkannt werden. Sacharowa bekräftigte auch das ursprünglich genannte Kriegsziel Moskaus - die »Entmilitarisierung und Entnazifizierung« der Ukraine.

Peking ruft die beiden Kriegsgegner zu Verhandlungen »ohne Vorbedingungen« auf. »Wir rufen Russland und die Ukraine dazu auf, Verhandlungen ohne Vorbedingungen wieder aufzunehmen«, sagte Chinas UN-Vertreter Dai Bing in New York bei einem Treffen des UN-Sicherheitsrats.

»Die Ukraine ist keine Arena für Kämpfe zwischen bedeutenden Ländern. Niemand sollte von dem Konflikt auf Kosten der Menschen in der Ukraine profitieren«, sagte der Diplomat.

Selenskyj zu Chinas Initative: »Es ist schon einmal etwas«

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht in Chinas Positionspapier keinen echten Friedensplan. Es sei aber schon »nicht schlecht«, dass China angefangen habe, über die Ukraine zu sprechen, sagte Selenskyj in einer Pressekonferenz in Kiew. Wichtig sei, dass die territoriale Unversehrtheit von Staaten und die atomare Sicherheit zum Thema gemacht würden.

»Mir scheint, dass das kein Friedensplan Chinas war«, sagte der Präsident. »Es gibt ein paar Punkte, die ich verstehe. Es gibt Gedanken, mit denen ich nicht übereinstimme, mit denen die ganze Welt nicht einverstanden ist. Aber trotzdem ist es schon einmal etwas.« Details nannte er nicht. Das Papier sei eine Grundlage. »Unsere Aufgabe ist es, alle zu versammeln, um den einen (Russland) zu isolieren«, sagte Selenskyj.

Internationale Reaktionen

Kritik kommt unter anderem auch von Außenministerin Annalena Baerbock. »Wer von Frieden spricht, darf nicht Unterwerfung meinen. Wer Aggressor und Opfer gleichsetzt, schafft keinen Frieden, sondern belohnt Gewalt«, sagte die Grünen-Politikerin am Rande einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats. »Das wäre der Weg in eine andere Weltordnung, wo das Recht des Stärkeren gilt.« Die Bundesregierung werde alles dafür tun, die Friedensordnung der UN-Charta zu erhalten. »Sonst kann kein kleines Land in Zukunft noch in Sicherheit leben«, sagte die deutsche Außenministerin.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg reagierten zurückhaltend. Man müsse sich die zwölf Punkte vor dem Hintergrund anschauen, dass China bereits Partei ergriffen habe, sagte von der Leyen in der estnischen Hauptstadt Tallinn. China und Russland hätten einander noch kurz vor Kriegsbeginn ihre »grenzenlose« Freundschaft zugesichert.

Auch Stoltenberg wies bei einer Pressekonferenz mit von der Leyen und der estnischen Regierungschefin Kaja Kallas darauf hin. China hat nach seinen Worten nicht besonders viel Glaubwürdigkeit, weil es bisher nicht in der Lage war, die russische Invasion in die Ukraine zu verurteilen.

Putin bereite sich derzeit nicht auf Frieden vor, sondern auf mehr Krieg und weitere Offensiven, betonte Stoltenberg. Irgendwann werde der Krieg wohl am Verhandlungstisch enden. Wenn man jedoch eine Verhandlungslösung wolle, bei der die Ukraine als souveräne, unabhängige Nation bestehen bleibe, müsse man das Land militärisch unterstützen. Nur so könne man die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Putin erkenne, dass er auf dem Schlachtfeld nicht gewinnen werde.

Das sagen russische Vertreter

Der bekannte russische Außenpolitiker Leonid Sluzki hat den chinesischen Zwölf-Punkte-Plan zum Krieg in der Ukraine als »ausgewogen« bezeichnet. Er sei jedenfalls ausgewogener als die neue UN-Resolution, die faktisch eine Kapitulation Russlands fordere, schrieb der Vorsitzende des Außenausschusses im russischen Parlament am Freitag auf seinem Blog im Netzwerk Telegram.

»Die Vorschläge aus Peking muss man noch einzeln erörtern. Aber hauptsächlich ist das ein Plan, um die Hegemonie des kollektiven Westens zu beenden.«

Das sagen Expertinnen und Experten

In dem Papier stehe nichts Neues, sagte der China-Experte Manoj Kewalramani von der US-Denkfabrik Center for Strategic International Studies (CSIS). Die zwölf Punkte seien Teil bekannter chinesischer Positionen. China betrachte den Konflikt »als Produkt einer, wie es sagt, Mentalität des Kalten Krieges und einer veralteten europäischen Sicherheitsarchitektur«. Es scheine in Peking auch sehr wenig Interesse zu geben, in irgendeine Art von Friedensprozess verwickelt zu werden. »Das Dokument deutet an, dass Peking möchte, dass sich Friedensgespräche lieber um eine neue europäische Sicherheitsarchitektur drehen als über den Krieg selbst.«

Der Sicherheitspolitik-Experte Joachim Krause bewertet Chinas Papier als »substanzlos«. »Das ist kein Friedensplan, sondern die Auflistung allgemeiner Prinzipien des Völkerrechts und der Diplomatie, an die sich China selber nicht hält und deren Verstöße durch Russland für Peking offenkundig kein Problem darstellen«, sagte der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel dem Nachrichtenportal t-online.

China stelle sich »in der Bewertung der Ursachen und der Treiber des Krieges offen auf die Seite Russlands«. »Wer gehofft hatte, es könne Anzeichen für Versuche Chinas geben, Russland zur Vernunft zu bringen, sieht sich enttäuscht«, sagte Krause. »Das Papier ist ebenso substanzlos wie die Aufrufe von Wagenknecht und Schwarzer. Sollte sich die Meldung bewahrheiten, wonach China Russland demnächst Drohnen für Angriffe auf zivile Ziele in der Ukraine überlassen wird, dann wäre es ein einzigartiges Dokument des politischen Zynismus.«

Was steht in dem Positionspapier?

In einem Positionspapier, das Pekings Außenministerium heute zum Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine veröffentlichte, wird eine baldige Wiederaufnahme von Verhandlungen zwischen beiden Seiten gefordert. Die Bemühungen Chinas, sich mit solchen Vorschlägen stärker in eine Friedenslösung einzubringen, werden allerdings mit Skepsis betrachtet, da die chinesische Führung den russischen Angriffskrieg bis heute nicht einmal verurteilt hat.

»Alle Parteien sollten Russland und die Ukraine unterstützen, in die gleiche Richtung zu arbeiten und letztendlich einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen«, heißt es in dem 12-Punkte-Dokument. »Konflikt und Krieg dienen niemandem. Alle Parteien müssen rational bleiben, Zurückhaltung üben und vermeiden, die Flammen anzufachen, und verhindern, dass sich die Krise weiter verschlechtert oder sogar außer Kontrolle gerät.« Mit dieser Argumentation wendet sich China gemeinhin immer gegen Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine.

China: Grundsätze der UN beachten

Zu Beginn des Papiers fordert China, dass die Grundsätze der Vereinten Nationen streng beachtet werden müssten. »Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Länder muss wirksam aufrechterhalten werden«, heißt es, ohne das aber darauf eingegangen wird, was mit den russischen besetzten Gebieten geschehen soll. Auch wird gefordert, dass die »legitimen Sicherheitsinteressen aller Länder ernst genommen« werden müssten. Hinter dieser Formulierung sehen Diplomaten einen klaren Hinweis auf die Argumentation Russlands, sich gegen die USA und die Nato verteidigen zu müssen.

Die »Mentalität des Kalten Krieges« müsse beendet werden, argumentiert China ähnlich weiter. Die Sicherheit eines Landes sollte nicht auf Kosten anderer gehen.

Diplomaten wollen Papier nicht als »Friedensplan« bezeichnen

Das Papier ist als »Position Chinas zur politischen Lösung der Ukraine-Krise« überschrieben. Diplomaten in Peking waren allerdings vorsichtig, die Vorschläge als »neue Friedensinitiative« oder »Friedensplan« zu beschreiben. Es wurde auf die Nähe Chinas zu Russland und seine mangelnde Neutralität verwiesen. Seit Beginn der Invasion Russlands in der Ukraine vor einem Jahr hatte China dem russischen Präsidenten Wladimir Putin immer Rückendeckung gegeben und die USA und die Nato als eigentliche Verursacher der Krise beschrieben.

Eine Journalistenfrage, warum Russland nicht aufgerufen wird, seine Truppen zurückzuziehen, beantwortete Außenamtssprecher Wang Wenbin nicht. Eine Vermittlungsmission stellte er auch nicht in Aussicht. Er sprach nur von »einer konstruktive Rolle« Chinas, das von dem Positionspapier ausgehend mit dem Rest der Welt zusammenarbeiten wolle. Experten sahen in dem Papier eher den Versuch Chinas, sein - wegen der Unterstützung Russlands - ramponiertes Image zu reparieren. »Wir stehen für Frieden und Dialog auf der richtigen Seite der Geschichte«, sagte der Außenamtssprecher denn auch.

© dpa-infocom, dpa:230224-99-717920/19